Mittwoch, 19. Dezember 2012

Kapitel 18 – Müsli und Schampus




Es ist bereits dunkel, als ich aus dem Flieger steige. Es ist tropisch, heiß und feucht, eine nicht sichtbare, dafür umso mehr spürbare Wand.

Ich fahre vom Flughafen ins Guesthouse, nehme eine Dusche und laufe danach in der Dunkelheit durch kleine, dunkle Altstadtgassen. Ich biege um eine Ecke und bin in…

Portugal.

Brasilien.

Es duftet nach gegrilltem Fisch, Bistrotische stehen auf dem Kopfsteinpflaster, die Gasse ist gefüllt mit Gemurmel und Zigarettenrauch, Kerzen und alte Straßenlaternen tauchen die Szene in ein warmes Licht.

Ich nehme einen kleinen Tisch in der Nähe der Küche. Nach zwei Minuten, ich habe noch nicht bestellt, setzt sich Linda zu mir. Vielmehr, sie steht und wir unterhalten uns, bis ich ihr einen Platz anbiete.

Linda führt ihr Lokal seit zweiunddreißig Jahren, hat (es ist bereits halb zehn) schon ordentlich einen in der Krone und ist vollends begeistert, als ich ihr erkläre dass ich aus Deutschland komme – „So warm, so helpful, so honest, so reliable people“. Schön, wie wir im Ausland wahrgenommen werden. Thanks so much.

Welcome to Goa. Da wo Indien Portugal ist.

Kirchen unter Palmen sind ... irgendwie... cool.
Und innen nicht minder pompös. Beeindruckend bei der Vorstellung, dass die Portugiesen die Dinger hier mitten in den Wald gestellt haben.

Zwei Tage später.


Frühstück. Ich sitze im Cafe am Strand, der Wind bläst vom Meer und bläht die weißen Leinentücher der Veranda. Es ist halb zehn morgens, ich flüchte in den Schatten und lese im „Gott der kleinen Dinge“.

Die Batterien der Kamera sind leer.

Dafür kommt mein Müsli.

Der Koch hat heute wohl Kokosnuss- und Papayaüberschuss und mir zwei Kokosnüsse ins Müsli geschnitzt, außerdem finde ich neben hausemachtem Joghurt Orangen, Ananas, Melone und Apfel. Ah und Müsli ist auch drin. Das Potpourri nimmt eine kleine Salatschüssel und eine halbe Stunde in Anspruch.

Organic Food at its best. Ganz ohne Etepetete.

Morgens halb zehn in Goa... Verrückt, oder?
Ein namhafter deutscher Kletterseilhersteller hat mir bereits zugesichert, das bei der nächsten Outdoor-Messe zu verwenden. ;-)

Zum Nachspülen gibt’s frisch gepressten Orangensaft, das Glas für umgerechnet 1,30 Euro. Seitdem bin ich quasi auf Brigitte-Orangensaft-Diät. Man soll ja in der Hitze auch viel trinken.

Während sich die Engländerin (40? 50? 60? Rot!) vor mir ihres Bikini-Oberteils entledigt, steigen drei Inderinnen in voller Sari-Montur aus dem Wasser. Neonlila, Neongrün und Orange. 

Angesichts dieser Szene stellt mir mein innerer Beobachter gleich mehrere Fragen auf einmal:


a) Was würde eigentlich passieren, wenn sich eine Inderin oben ohne an den Strand legt? Vermutlich würde sie zu Hause von ihrem Mann halbtot geprügelt werden.

b) Warum sind indische Frauen ab 40 fast generell extrem schlecht zu Fuß? Wer mal eine Gruppe indischer Frauen beim Treppen-„Steigen“ beobachtet hat weiß was ich meine…
 
Entweder haben sie Probleme vom vielen Kinderkriegen, oder (was ich für wahrscheinlicher halte) Hüftgelenksknorpeldegenerationen vom Lasten auf dem Kopf umhertragen. Geht los mit zwölf, endet mit sechzig. 50 Jahre täglich 20 bis 30 Kilo auf dem Kopf bei 50 kg Lebendgewicht (wenn überhaupt). Wasserkrüge und das Feuerholz, Mehl und Bananen. 

Kein Spass, eine indische Frau zu sein.

Irgendwo hatt ich doch ein Bild…. Moment….

Ah ne, das ist das falsche. Aber auch schön. Goa bei Tag...
 
... und beim abendlichen Curry mit Sand zwischen den Zehen. Sommer ist, wenn man nachts im Tschirt draussen sitzen kann.

Hier wird tatsächlich noch frisch gefischt. Wer will darf mithelfen, den Fang an den Strand zu ziehen.


Miguel und Marlene, zwei Freunde, die ich in der kurzen Zeit sehr zu schätzen gelernt habe.

Der nächste Morgen.

Der !$#&!- Hund hat meinen Seestern gefressen! Ich dreh durch! Aaaah!

Gestern habe ich am Strand einen toten Seestern am Strand gefunden, den ich an Weihnachten verschenken wollte. Zum Trocknen habe ich ihn bei mir vor der Hütte auf einen Stein in die Sonne gelegt. Das hat wunderbar funktioniert.

Bis heute früh.

Als ich aufwache, scheint die Sonne bereits durch die Ritzen meiner Coco-Hut, die als Teil einer Yogaschule in Goa direkt am Wasser in einer sehr malerischen, und sehr ruhigen Lagune liegt.

Erster Blick aus der Haustür.

Und mein Hüttchen (mit der grünen Hose) von der Seite... Prädikat "nicest place on earth" :-)

 In den letzten Tagen habe ich Freundschaft mit einigen der hiesigen Hunden geschlossen (nirgendwo sind die Hunde friedlicher als in Indien) bzw. sie mit mir, vermutlich weil der Kerl mit der grünen Hose immer als erster wach ist (noch vor den Indern) und weils da immer Streicheleinheiten gratis gibt.

Als ich die Tür öffne, spritzt der Sand am Strand vor der Hütte, als 24 Pfoten sich auf ihren gerade erwachten Spielkameraden stürzen. Es ist kurz nach sieben.

Im Getümmel entdeckt einer der Ganoven meinen Seestern. Ich sehe ihn noch, aber versuch mal einem wilden Hunde seine Beute wieder abzunehmen. Kannst vergessen. Naja, der Shiva hats gegeben, Shiva hats genommen.


Mein Begrüßungskommitte. Lets play!
Und das sind meine beiden namenlosen Lieblinge. Zwillinge, folgen mir auf Schritt und Tritt, und beiden (!) hat jemand ein Teil vom rechten Ohr abgebissen...
Eine halbe Stunde später liege ich bei der Morgenyogasession auf dem Rücken, der warme, salzige Wind bläst vom Meer. Durch die weißen Leinensegel sehe ich Sand, Palmen und einen der Hunde von gerade eben, der in der Sonne sein Nickerchen macht (bzw. meinen Seestern verdaut… Grrrr).

Im Moment sind alle meine Extremitäten in die vier Himmelsrichtungen verteilt. Lauren, meine morgendliche Yoga-Vorturnerin aus Boston beugt sich über mich und beginnt erstaunlich bestimmt, meine Wirbelsäule in eine gefühlte Dreifachspirale zu befördern. Bis gerade war die Pose noch bequem - uff - die kennt mich schon viel zu gut.

Ich mache Krieger, Hunde, Bäume, Kakteen, Yogis, Kamele, Brücken, Krähen, Tauben, Bretter und was der Yogaführer sonst noch so hergibt. Seit drei Tagen geht das so. Täglich zwei eineinhalbstündige Yogasessions mit Meerblick. Da geht was.

SO hab ich mir das mit dem Yoga gewünscht! Inklusive Privatstunden, hehe.
Nach der Nachmittagsyogasession mache ich mich auf die Suche nach einem (bereits toten) Ersatzseestern. Leider erfolglos, dafür rette ich ca. zehn noch lebenden, auf dem Rücken liegenden  Seesternen das Leben, indem ich sie umdrehe, so dass sie sich eingraben können. 

Einen sogar zweimal, weil ihn die nächste Welle gleich wieder auf den Rücken spült. Schon erstaunliche Geschöpfe, hilflos und irgendwie goldig. Und die einzigen mit fünf Beinen, die ich kenne. Warum hat ein Seestern eigentlich fünf Beine?

Davon krieg ich nie genug. Es ist der 12.12.12. Perfektes Orange.
 …

So gehen die letzten Tage meines „Abenteuers Indien“  bei Yoga, Sand, Sonne und schöner Gesellschaft viel zu schnell dahin. 

Ich genieße den letzten Strandspaziergang, den letzten Sonnenuntergang, den letzten Sonnenaufgang, das letzte Strandmüsli, den letzten Blick zurück zum Strand.

Bevor ich in den (wie immer vollen) Bus steige.

Der Bus, der mich zum Flughafen bringt.

Wegen dem ich fast noch meinen Flug verpasse, weil er heute statt einer Stunde zwei Stunden braucht.

Wegen dem ich ein "Motorradtaxi" nehme. 

Hundert Sachen ohne Helm, dafür mit Shorts und 30-kg-Rucksack. Nochmal eine halbe Stunde Abenteuer zum Schluss. Hach.

Ich will ein Foto von meinem Held des Tages machen.

Die Batterien der Kamera sind schon wieder leer.


"Herr Ernst, darf ich Ihnen zum Start einen Champagner anbieten? - Ja gern." 

Irgendwie passend - der kleine Maharadja fliegt nach Hause.

Goodbye India.

It was a pleasure meeting you.

See you again in a while.

For sure.


















Freitag, 14. Dezember 2012

Kapitel 17 – Knockin on Heavens Door


Eigentlich gibt’s diesmal gar nicht viel zu berichten. 
Außer dass ich das Paradies gefunden habe.

Und eigentlich wollt ich gar nicht nach Hampi. Dann hat mir Maike aber doch noch die Kletterschuhe mitgebracht…


Die eine Hälfte Leser dieses Blogs bekommt bei dem (W)ort „Hampi“ feuchte Finger, die andere (Nicht-Kletterer) denkt nur „???“.

Nun, Hampi ist einer der bekanntesten Kletterspots Asiens und im Moment quasi direkt vor meiner Haustür (= eine Tagesreise).

Dennoch, um ordentlich klettern zu können brauch ich erstens Strom in den Armen und Haut auf den Fingern (nicht vorhanden) und zweitens keine fünfunddreißig Grad im Schatten (vorhanden).

Oder wenigstens eins von beiden. Aber so? Ich fahre ja auch nicht im August für drei Tage nach Arco und lass mich da aus der Wand brennen. Nicht mehr.


Zwei Tage später bin ich da. Dazwischen liegt eine kleine emotionale Odyssee:

Ich beschließe also (trotz Kletterschuhe), aus Zeitgünden diesmal nicht nach Hampi zu fahren und stattdessen in Goa zu bleiben. Bis ich am Strand zufällig zwei Kletterer treffe. Beim Abendessen dreht sich dann zwei Stunden lang alles um – logisch: Fels. Meine Entscheidung wackelt. Am nächsten Morgen rät mir die gesamte Yogaklasse ebenfalls, nach Hampi zu fahren.

Ok, Entscheidung retour, ich kaufe ich ein Ticket für den Nachtbus am Abend.

Den ich verpasse, weil ich mir die Abfahrtszeit nicht richtig merke. Also was jetzt? Hampi oder nicht Hampi? Meine umentschiedene Entscheidung wackelt nun ebenfalls. Karma hin, Karma her, einen Versuch mach ich noch – am nächsten Morgen also nochmal ins Reisebüro, noch ein Ticket. Wenns diesmal nicht klappt, dann wars das.

Es klappt. Und es lohnt sich!

Hampi ist noch vor Goa und Pushkar der schönste Ort, den ich in Indien gefunden habe. 

Landschaft, Leute, Klima, Fels, alles toll! Hampi ist wirklich ein kleines Paradies (…ich schreibe diese Zeilen in der Hängematte vor meiner Hütte mit Blick auf einen der bekanntesten Bouder Hampis…). Moment, Bild bitte, voila. :-)

Die orangene Hängematte ist meine :D Und dahinten liegen die Blöcke...

Ein Paradies in der Mitte Indiens, in dem neben Palmen Granitblöcke herumliegen, so weit das Auge reicht. Du läufst auf einen Hügel und dahinter: Granitblöcke, Reisfelder und Palmen. Bis zum Horizont (Ich krieg grad beim Tippen schon wieder feuchte Finger… ;-)).

Also noch ein paar Impressionen…




Der Weg von meiner Hängematte zum Bouldern dauert genau ein Reisfeld, der Weg ins Dorf drei Reisfelder. Im Guesthouse sind neunzig Prozent Kletterer, trotzdem dreht sich nicht alles nur um Granit. Die Stimmung ist sehr multikulti und sehr lässig, Deutsche, Inder, Engländer, Schweizer, Finnen, Amis, Kanadier, Spanier, Franzosen, alle sind sie da. Ach und die Israelis natürlich. In Scharen. Warum? Keine Ahnung. Israelis sind überall in Indien. Wahrscheinlich nach den Bhanglassis, äh Bangladeschis die größte Minderheit im Land.

Ein Tag hier sieht in etwa so aus:

Morgens ab Sonnenaufgang um sechs Bouldern bis die Hitze um zehn zu groß wird, großes Frühstück im Schatten, Slacklinen oder Schach (wahlweise), duschen, Mittagsschlaf in der Hängematte, ins Dörfli, nochmal Hängematte, ab vier wieder Bouldern bis es dunkel ist, auf dem warmen Fels sitzend mit zwanzig anderen Kletterern Sonnenuntergang gucken, zusammen Abendessen, Bett. Miau!

Das geht so tagein tagaus. Es ist mittlerweile Dezember, das Thermometer zeigt 28 Grad im Schatten. Endless Summer.

Die lustige tägliche Boulderbagage...
Man on the Moon. "Ein kleiner Griff für mich, ein großer Griff für die Menschheit."
Nein! Das ist kein Sadhu beim Meditieren. Das ist der Flo aus "Zell unter Aichelberg". Richtig, ein Schawabe! Flo versucht grad, seine T**e bei einem ganz normalen Hampi-gen Sonnenuntergang anzuzünden. Das ist auch schon alles.
An meinem Rasttag setze ich mit dem Boot über auf die andere Seite des Flusses und miete mir ein Moped. Auf der Gegenseite wird gerade der örtliche (heilige) Tempel-Elefant im (heiligen) Fluss mit der (heiligen) Bürste seiner (…) morgendlichen Badeprozedur unterzogen. Er scheint jedenfalls eine Menge Spaß dabei zu haben. Mensch und Tier vereint im Badezimmer.

Wer schon vor dem Frühstück von fünf Mann gebürstet wird, der hat natürlich gut lachen.
Nun, zurück zum Moped. Gefahren wird mit Petrol(eum?), dass literweise aus Wasserflaschen in den Tank gekippt wird. Übrigens nicht nur hier. Tankstellen sind eher selten. Ein Liter Sprit kostet so viel wie die Tagesmiete.

Eigentlich wollt ich mir ne klassische Enfield holen, da ich heute aber 80% auf Sand und nur 20% auf Asphalt unterwegs bin, stellt sich meine Entscheidung zum Moped als goldrichtig heraus.

Stylemäßig fahr ich so natürlich mit der roten Laterne. Macht aber nix, das hol ich durch meinen Fahrstil wieder rein. ;)

Ohne Wochte... :D
Das erste Zupfen am Gasgriff führt dann zu einem spontanen Heiterkeitsausbruch meinerseits. Du ziehst am Gas, das (ab jetzt!) „Mofa“ quittiert mit einem lustlosen „Meeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeh“, und zwei Sekunden später setzt sich die Ömme in Gang. Wie wenn Du eine Ziege beim Mittagsschlaf am Bart ziehst weil Du auf ihr reiten willst. Erinnert mich brutal an meine Teeniezeit. Naja, auf der Geraden läuft die Möhre immerhin sechzig. Das reicht um ein paar Pics zu machen ;-).


Ich kurve durch Palmenhaine und zwischen UNESCO-Weltkulturerbe-Tempeln herum, der Fahrtwind bläst wie ein Heissluftföhn. Immer fleissig hupen, zwischendrin eine Kokosnuss, ein Heidenspass, unbedingt zu empfehlen! Als ich drei Stunden später mit dem Boot wieder die Seiten wechsel ist die Welt sowas von in Ordnung.

Mittlerweile renne ich indistylemäßig in Leinenklamotten rum. Das freut Natur, Mensch und Tier.

Bis auf den Oberaffen. Der ist grad so sauer, dass er nicht mal merkt, dass ich ein Bild von ihm mache. Das mögen die Affen normalerweise nicht so. Im Moment ärgert er sich jedoch über die dicke Russin, die grad Bananen verteilt.


Merken! Wenn ich je mal ein Haus baue, dann wird das die Tür zum Badezimmer. Oder zur Garage. Speisekammer? Spielzimmer? Schau mer mal.
 …

Am Tag meiner viel zu frühen Abreise aus dem kleinen Paradies in der Mitte Indiens (ich hätte einen Monat bleiben sollen…) steht die Sonne tief. Auf dem Außenborder flattert eine orangene Om-Flagge, die sich schön mit dem Blau des Himmels und dem Grün der Palmen ergänzt.

Schön wars. Wirklich sehr schön.

Schade dass ich schon wieder weg muss.

Schön, wieder on the road zu sein.

Auf zum letzten Ziel dieser Reise.

Goa.