Freitag, 30. November 2012

Kapitel 14 – Durchs wilde Rajasthan


Nachdem ich nun das wilde Rajasthan…

Hmmm. Eigentlich sollte ich eher sagen, das chaotische Rajasthan.

Also nochmal.

Nachdem ich nun das chaotische Rajasthan erobert habe, möchte ich Dich mitnehmen auf einen kleinen Rundgang durch das „alte“ Indien. Das Indien der Reiseführer, das Indien der Bildbände, der Träume. Das Indien, das die meisten suchen, wenn sie herkommen.

Dieser Eintrag wird etwas länger. Also nimm Dir etwas Zeit, hol Dir einen Kaffee, mach es Dir gemütlich und lass Dich entführen in diese wirklich malerische, schöne, aber auch chaotische Welt.

Und was bietet sich als Einstimmung hierfür besser an als das Wahrzeichen Indiens, das (lt. Inder) „achte Weltwunder“? Lass uns am Taj Mahal beginnen.

Nun, was soll ich sagen. Das Taj ist ist wirklich … unglaublich.

Es ist. Wirklich. Unglaublich. Schön.

Das Taj im Morgennebel... mystisch.

...und bei der ersten Annaeherung. 
Die Ästhetik des Taj, der Frieden und die Harmonie der Gesamtanlage... 
Ich weiß nicht genau, WAS es ist. 
Aber es scheint, als vermag der Mensch in einem hellen Moment die Natur tatsächlich noch zu verfeinern. 

Wir brauchen mehr solche Momente.

Beim Taj ist es wie mit Sonnenuntergängen – auf Foto bannen geht gar nicht. Es ist vielmehr der verzweifelte Versuch, den erlebten Moment ins Ewige zu ziehen.

Also sitze ich. Ich gehe. Und gucke. Und sitze. Und gucke. Fünf Stunden lang. Danach gönne ich mir einen sehr sehr guten, richtig schönen großen Milchkaffee.

Zwei Tage später nochmal. Herrje, life is so good sometimes.

Ich erlaube mir einen kleinen Geschichtsausflug für die unter uns, die Märchen aus dem Orient schon immer faszinierten: Schah Jahan, der damalige „Herrscher der Welt“ ließ das Taj als Mausoleum für seine Lieblingsfrau Mumtaz bauen, als sie bei der Geburt seines vierzehnten (…) Kindes verstarb. Da in der arabischen Sprache, so lerne ich, „Paradies“ und „Garten“ das gleiche Wort seien, wollte er das Paradies auf Erden bauen.

Und man kann sagen, er ist damit ziemlich weit gekommen. Es funktioniert wirklich.

Es gibt einen Vorhof, der den Übergang vom irdischen Chaos – vermutlich damals schon – zum Himmlischen trennt, und dessen Tor allein schon eine Sehenswürdigkeit darstellte, stünde dahinter nicht das Taj selbst. Der Gang durch dieses Tor, wenn das Taj im Morgennebel auftaucht – priceless.

Nun bin ich kein Architekturkenner, aber staune gerne und viel über die Arbeit und die Liebe zum Detail, die die damaligen Künstler an den Tag legten. Marmor, wohin man schaut, Einlegearbeit mit Millimeterpräzision, das ganze Gebäude leuchtet in der Mittagssonne. Solche Gebäude sind nur in Diktaturen möglich (20.000 Arbeiter, 20 Jahre, so wie die Cheops-Pyramide. 

Angesichts der damaligen Megalomanie fällt es mir schwer zu glauben, dass Leute wie ausschließlich Schah Jahan Wohltäter gewesen sein sollen, zumal wenn er zwei riesige und unzählige kleinere Festungsanlagen bauen ließ. Ich tippe eher auf so eine Art indischen Saladin. Ohne das Taj wäre Schah Jahan wohl nur ein weiterer Herrscher gewesen, so geht er in die Geschichte ein als der Mann, der ewige Liebe in Stein gemeißelt hat.


Kurz nach meinem Besuch habe ich mir von zwei älteren Schweizern dann auch bestätigen lassen, wie schrecklich das Taj ist. Und dass es vor vierzig Jahren WIRKLICH wundervoll war, als man hier ganz allein war. Alles eine Frage des Standpunktes.


Mit dem Bus geht’s weiter nach Jaipur, in die Hauptstadt Rajasthans.

Die „Pink City“ die sich rühmt eine der schönsten Indiens zu sein; tatsächlich ist sie chaotisch, laut und stinkend wie (fast…) alle anderen auch. 

Das erste Highlight hier: Der Amber Palast – der erste große Palast der Moguln, gebaut vom Opa vom Schah Jahan, der hieß Akhbar.

Der Palast liegt außerhalb der Stadt wie eine Festung auf einer Felsklippe erbaut, innendrin die Überreste eines Palastes wie aus dem Morgenland (das liegt hier ja „hinter“ uns, also westlich, trotzdem sind die islamischen Einflüsse unverkennbar). 

Es gibt Hamams, Säulenhallen, Fächer zum fächeln, einen Harem, Geheimtunnels, kurzum, alles was ein ordentlicher Palast braucht.

Nein, ich bin NICHT aus Versehen in China gelandet.
SO stell ich mir ja Jerusalem vor.
Notiz an mich: Nachgucken.

Das zweite Highlight ist mein Tuktuk-Fahrer „Israh“, den ich nach einer Viertelstunde netter Konversation für den kompletten kommenden Tag miete. Wir haben eine Menge Spass zusammen.

Israh...

und sein/mein Gefaehrt. Hehe.

Mein kanadischer Zimmernachbar Dave ist heute mit Israhs Cousin unterwegs. Logisch dass wir dieselben Tempel ansteuern.

Unterwegs sammeln wir zwei verirrte französische Studentinnen ein, die sich in der Nähe der Stadtmauer verlaufen haben, Valentine und Pauline aus Paris.

Am Ende fahre ich Israhs Tuktuk durch den Jaipurer Stadtverkehr. Eigentlich gar nicht soo wild, da die Tuktuks (Piaggio Ape) so viel Power und eine Lenkung haben wie mein alter 50er-Vespa-Roller.

Spannend wird’s immer im Bereich einer Kreuzung, wenn von links und rechts alles was Beine in die Fahrbahn läuft. Hupen hilft. Nur die Bremse will Israh mir nicht überlassen. Nicht dass noch ne Kuh draufgeht. Verständlich.

Valentine, Pauline und Dave beiden entpuppen als äußerst angenehme Abendgesellschaft, bevor sich unsere Wege am Tag darauf wieder trennen. Dave nach Delhi, die Mädels in die Wüste nach Jaisalmer, ich weiter mit dem Bus ebenfalls in die Wüste nach Pushkar zum größten Kamelmarkt Indiens. Ein-Tages-Bekanntschaften. Travellers world.

Anbei noch ein paar Schnappschesse aus Jaipur.

Hier wohnt der Maharaja. Echt. Das sind die indischen Royals.

Die fuer mich schoenste Tempelanlage Indiens. Name unwichtig. Keine Touris, keine Verkaeufer.

Dafuer unglaublich schoen gemacht. Alles aus dem Vollen geschnitzt. Verrueckt. Weiss gar nicht ob man so was heute noch kriegt.
Ich fahre weiter nach Pushkar.

Pushkar ist ein kleiner Wallfahrtsort am Rand der indischen Wüste Thar gelegen, und feiert - Zitat Guidekook – „jedes Jahr in der Woche vor Vollmond im November eines der faszinierendsten Feste Asiens“. Zufällig…jetzt.

Die „Pushkar Mela“ ist Kamel- und Heiratsmarkt zugleich. In das Städtchen mit nur 15.000 Einwohnern fallen eine Woche lang Horden von Kamelen und heiratswilligen (?) jungen Frauen ein (95% aller Ehen in Indien sind von den Eltern arangiert. Teil des, wie die Inder selbst sagen, „Kastenproblems“).

Und hier ist es, das Bilderbuch-Indien. Vermutlich die Hälfte aller indischen Postkarten sind in Pushkar gemacht (die andere Hälfte zeigt das Taj Mahal…).

Schön, bunt, malerisch, quirlig, doch nicht aufdringlich, ich gehe in der indischen Menge unter, und doch scheinen die Einwohner Westler genug gewöhnt, dass man in Ruhe essen kann, ohne dass jede Bewegung von dreißig neugierigen Augen verfolgt wird.

Anbei ein paar Eindrücke vom Kamelmarkt. Kamele soweit das Auge reicht.

Du fragst Dich wie ein Kamel zu einem Nasenpiercing kommt?

Jedenfalls nicht so ganz freiwillig. Krasse Angelegenheit.




Einen Hügel weiter der Pferdemarkt. Erinnert mich an „Hidalgo Naranja“, mit dem ich durch Spanien geritten bin und der wohl noch immer auf der Hinterachse lahmt…

Lawrence von Arabien, Winnetou, Hidalgo, Ben Hur, alle waren sie da.

Den Heiratsmarkt hab ich mir natürlich nicht angeschaut. ;-)

Stattdessen ein kleiner Rundgang durchs Staedtle, und dabei das Moped und den Mechaniker meines Herzens gefunden. NOCH NIE hab ich ein so geiles selbstgemaltes Schild gesehen! Und das Moped ist echt super in Schuss...

Ohne Worte. Lesen und Geniessen.
Makanik Mukesh weiss wies laeuft. Garantiert.

Und die haett ich am liebsten gekauft. Wenns nicht so weit nach Hause waer.


Ausblick vom Balkon meines Guesthouse - mal wieder ein Sonnenuntergang... ;)
Fazit: Indien kann wunderschön sein.

Wenn man sich an den „Alltag“ (feilschen, Verkäufer ignorieren, drängeln,…)  gewöhnt hat, stellt sich – trotz manchmal anstrengender Travelumstände – eine gewisse Entspannung ein. Klar, Indien ist immer laut und meist schmutzig, der Verkehr erscheint chaotisch und ständig will einem einer was verkaufen.

Du kennst dieses Bild aus eigener Erfahrung. Einheimische strecken viel zu bleichen, zu dicken, mit Kameras, Ferngläsern, Sonnenhüten und Wasserflaschen zu schwer beladenen Touristen irgendwelchen Nippes in den Weg. Diese hingegen befinden sich regelmäßig auf der Flucht.

Ich habe begriffen: Das Verkäufergeschäft, insbesondere das Straßenverkäufergeschäft, beruht hochgradig auf Instinkt. Jagdinstinkt. Wenn Du Dich also wie Beute verhälst, ziehst Du die Jäger auf Dich. Ich hingegen habe Zeit. Und selbstauferlegtes Souvenirverbot, da ich das Zeug ja nicht die ganze Zeit in meinem Rucksack mit mir rumschleppen möchte.

Die Menschen sind sowieso interessanter als den Nippes. Manchmal ergeben sich so ganz interessante Begegnungen – Zeit, ein Lächeln und keine Berührungsängste sind der Schlüssel.

Jaipur, mittags: Am „Palast der Winde“ will mir ein Juwelenhändler Schmuck verkaufen. Ich biete ihm daraufhin an, seinen Laden zu übernehmen und alles innerhalb einer Woche zu verkaufen. Seine Freunde kommen dazu, wir machen anschließend eine halbe Stunde lang Faxen auf der Straße,

Ebenfalls Jaipur, nachts um halb eins. Ein Rikschafahrer will mich kostenlos fünfzig Meter mitnehmen. Ich habe Zeit. Also gut. Dafür soll ich ihm einen Rat geben, ob er sich für seine indische oder französische Freundin entscheiden soll :D. Wir diskutieren bestimmt eine halbe Stunde über die Unterschiede zwischen Indien und Europa, zwischen europäischen und indischen  Frauen.

Ich rate ihm schließlich zu seiner indischen Freundin. 
Und gehe zu Fuß nach Hause.



Stay tuned.


Samstag, 24. November 2012

Kapitel 13 - Das Puzzleteil


Es ist Mittag, ich sitze im Zug und schaue zum Fenster hinaus. Draußen zieht die Tiefebene des Ganges an mir vorbei.

Felder. Felder. 

Ein kleines Dorf. Ein Bauer mit einem einzelnen Rind. Ein einsames Fahrrad am Feldrand, eine einsame Bäuerin im Reisfeld. 

Felder. Felder. Seit Stunden.

Die Gedanken treiben angesichts dieser fruchtbaren Monotonie. Keine Mähdrescher. Kein Traktor. Alles von Hand. Felder. Seit Stunden.

Man sagt, das Hirn wird dann am kreativsten, wenn die äußeren Einflüsse wegfallen.
Abends im Bett, wenn das Licht aus ist. Am stillen Örtchen. In der Meditation. Bei Feldern. Feldern. 

Monotonie.


Irgendwo in den Tiefen meines Hirns finden zwei Synapsen zueinander, die sich schon sehr lange nicht mehr begegnet sind.

Es gibt diese Momente, da fällt es einem sprichwörtlich wie Schuppen von den Augen. Ein Bild erscheint und auf einmal ist alles klar. Als fände man in dem großen Haufen von Puzzleteilen das eine, das immer schon gefehlt und das man immer schon gesucht hat, damit das Bild einen Sinn bekommt, vollständig wird.

Ohne sagen zu können, warum gerade jetzt. Das Bild erscheint einfach, schiebt sich direkt ins Blickfeld, vor meine innere Linse. Zusammen mit einem Gefühl. Dem Gefühl „Ja, dieses Teil gehört genau hier hin. Jetzt ergibt alles einen Sinn.“


Alleine auf einer Reise, durch ein Land, das man nicht kennt. Dessen Bewohner, dessen Kultur, dessen Sprache einem fremd ist. Täglich Neues. Morgens nicht wissen, wo man abends sein wird. Allein mit den eigenen Gefühlen, fröhlich wie auch traurig.

So etwa muss es den Siedlern und Cowboys in Amerika ergangen sein, als sie den Westen eroberten. Den Rittern auf ihren Kreuzzügen, jahrelang in fremden Ländern unterwegs. Die Freiheit, dorthin zu gehen, wohin es einen treibt.

Ich weiß noch genau, wie ich als Knirps im Kindergarten an Fasching zum ersten Mal als Ritter allein in die Gigelbergturnhalle durfte. Mit Plastikschwert, Schild und Axt bewaffnet, mit einem Helm, der mir viel zu schnell viel zu klein wurde, stellte ich mich dort zum ersten Mal fremden Rittern, Piraten und Cowboys. Ich erinnere mich sogar an eine Prinzessin, die dort war (und an die Faszination und die gleichzeitige Ratlosigkeit, denn was ich mit der hätte anfangen sollen, das war mir damals ein Rätsel). 

Das war ein echtes Abenteuer, so als Knirps.

Es gibt sogar ein Foto davon, wie ich als Ritter auszog, die Welt zu erkunden.

Später bin ich - zuerst mit Pfeil und Bogen, dann mit einer selbstgebastelten Laserpistole - durch den großen Wald gestreift, der am Ende unserer Straße beginnt. Nachmittag für Nachmittag.

Die Gedanken treiben weiter. Bilder kommen und gehen.

Immer noch Felder.

Ich denke an das Computerspiel „World ofWarcraft“. Ich selbst habe es nie gespielt, nur ein paar Mal zugeschaut. Für alle denen World of Warcraft kein Begriff ist – World ofWarcraft ist das erfolgreichste Computerspiel der Welt. Man hat eine Spielfigur, also ein „Alter Ego“, mit der man durch eine virtuelle Welt laufen kann. Man kämpft gegen Monster, verbündet sich mit anderen Spielern, erbeutet Schätze, kauft Ausrüstung. Im Verlauf dieses Spieles wird die eigene Figur stärker, lernt neue Kampftechniken, Tricks und Zaubersprüche, kauft neue Waffen, und so weiter.

Man beginnt also, grob gesagt, als Kind mit einem Stöckchen und – nach unzähligen Abenteuern, Kämpfen, Labyrinthen und Spielstunden – endet als mächtiger Krieger mit magischen Amuletten, einem Schwert, dass Blitze schleudert, auf einem Streitroß, dass fliegen kann und Feuer speit. So in der Art jedenfalls.

Es gibt viele Videospiele dieser Art. Zelda, Final Fantasy, und wie sie alle heißen. Warum sind sie so eigentlich so unglaublich erfolgreich? Millionen Menschen verbringen unzählige Stunden damit, ihre virtuellen Figürchen zu „entwickeln“. Die Idee hinter dem Spiel liegt nicht im Kämpfen gegen Monster und Zombies, sondern in der Entwicklung der (hier: virtuellen) Persönlichkeit durch das Meistern verschiedener Aufgaben und Herausforderungen..

Ja. Das ist es. Das ist das Puzzleteil.

Ich reise allein durch ein mir fremdes Land. Warum eigentlich? Wozu? Was tue ich hier eigentlich, allein, am anderen Ende der Welt?

Man könnte sagen, ich „spiele“ mein ganz privates Abenteuerspiel. Ohne Zauberschwert, ohne fliegendes Roß, ohne Pausenknopf. Mit nur einem Leben. Meinem Leben.

Ich habe meine Kindheitsträume nie vergessen.

Der kleine Ritter aus der Gigelberghalle, der auszog, die Welt zu erobern.

29 Jahre später.



Stay tuned.

Mittwoch, 21. November 2012

Kapitel 12 - The man of the day


Wie eine Festung ruht er in den brandenden Wogen des indischen Verkehrs.

Sein grün-gelber Sonnenschirm weist dem Suchenden schon von weitem den Weg.

Man erkennt ihn sofort, ein Ruhepol inmitten all der Hektik, dem Treiben, der Bewegung, dem Lärm.

Seinen Platz hat er abseits all der anderen Händler gewählt.

Allein.

Auf einem Randstein.

Er sitzt in unmittelbarer Nähe der stetig vorbeiknatternden und hupenden Rikschas, Tuktuks, Jeeps, Bussen, und allem anderen, was in Indien fährt.

Seelenruhig harrt er aus, wartend.

Auf Kundschaft.

Auf… mich.




„HUNDRED RUPEEEES !“

kreischt er mich an, seine Haut braungebrannt von der indischen Sonne, sein Gesicht gefurcht von den Spuren des Lebens, Blitze in seinen Augen..

„Fifty!“

„HUNDREEEEEED!“

„Fifty!“

„HUNDRED!“

 „Sixty!“

„HUNDRED!“

Ich gehe.




Ich wollte nur ein einziges Foto von meinem Helden des Tages, doch das Business ist hart in Indien, er lässt nicht mit sich handeln. Er hat es nicht nötig.

Hundert Rupeeeeees (a.k.a. Ruppen, Ruhpen, Hupen, Rappen, Rupien, manchmal auch Rippen, Dollar oder Dingsis) für ein Foto sind zu viel des Guten. Selbst für einen Touristen wie mich. Gerade als solcher kann man sich schließlich nicht alles gefallen lassen.

So gibt’s von meinem persönlichen „Man of the Day“ leider nur ein Bild aus der Ferne…
Ein Sonnenschirm in der wogenden Brandung.



Was er dort auf seinem Teppich ausgebreitet hat und verkauft?

Gebisse.

Gebrauchte. 

Gebisse.



Stay tuned.

Sonntag, 18. November 2012

Kapitel 11 – The City of Burning Men



„It WILL hit you.“

Das hatten mir die drei Norweger vor einigen Tagen beim Abendessen mehrfach versichert.

It just hit me.
 
Ich bin in Varanasi.

Varanasi liegt in der Mitte von Indien direkt am Ganges und ist für die Hindus, und neunzig Prozent der Inder sind Hindus, also eine runde Milliarde Menschen, die heiligste aller heiligen Städten. Varanasi liegt also – mit Bezug auf die Bedeutung für eine der Weltreligionen - in einer Liga mit Jerusalem und Mekka.

Wer hier stirbt, anden Ufern des Ganges verbrannt wird und wessen Asche anschließend dem heiligen Fluss übergeben wird, der darf damit rechnen, den ewigen Kreis der Reinkarnationen zu durchbrechen und ins Nirvana zu gelangen. So spricht der Sadhu.

Fast genauso gut, nämlich die Reinigung aller Sünden, verspricht dem irdischen Hindu ein Bad in den Wassern dieses heiligen Flusses. Der Local badet aus diesem Grund täglich im Fluss. Das wäscht nicht nur dauerhaft alle über den letzten Tag begangenen Sünden hinfort, sondern stärkt ganz nebenbei auch noch die Abwehrkräfte.

Nun, beides (Kremation und Bad) folgt recht strengen Ritualen und Zeremonien, die einem christlich aufgewachsenen Europäer wie mir nur teilweise zugänglich und nachvollziehbar sind.

Abgesehen davon würde ich mich eh nicht trauen, in der Brühe zu baden. Meine Inkarnation wäre wohl schneller beendet als ich „Shiva“ sagen könnte. Der Ganges sieht aus wie der Ummendorfer Baggersee im Jahrhundertsommer, nur dass hier noch haufenweise Müll, Blumen, Saris und anderes Gebein (siehe oben) als Zugabe umhertreiben. Von fiesen kleinen Tierchen, die ich nicht sehen kann, abgesehen.

Nun, der Tag hatte fantastisch begonnen.

Um fünf Uhr in der Früh werde ich skurrilerweise vom Muezzin der benachbarten Moschee geweckt. „ Allaaaaaaahuakebaaaaaaarallaaaaaaaaahuakbaaaahr.“ In der heiligen Hindustadt.

Hinduismus ist heute anscheinend recht tolerant (wenn der Muslim nicht grad Pakistani ist). An die Allahrufe schließt sich eine Stunde eigenartiger Radau an. Vielleicht hat der Muezzin einfach vergessen, den Lautsprecher auszuschalten und hört gerade die Morgennachrichten von Radio Mumbai, Delhi und Kerala gleichzeitig. Vielleicht will er aber auch dem Hindu einfach eins auswischen, indem er ihn nicht ausschlafen lässt und sich dabei auf seine Religion beruft.

Könnte mir gut vorstellen, dass die Moslems im 15. (?) Jahrhundert Indien erobert haben, indem sie in der Nacht vor einer wichtigen Schlacht so viel Radau veranstaltet haben, dass die die Hindu-Krieger am nächsten Morgen schlecht ausgeschlafen waren und dann eins übergebraten bekamen. 

In der Schule (vermutlich auf dem Pausenhof) hab ich mal gehört, dass die Schotten 1066 beim Battle of Hastings deshalb ihre Unabhängigkeit an die Briten verloren, weil sie am Vorabend schlichtweg zu viel gesoffen hätten und deshalb die Schlacht verloren. Würde mich nicht überraschen, wenn die Sauferei von einem britischen Geheimagenten angezettelt worden wäre. 

James Bond meets Braveheart. Der Rest ist Geschichte.

Ich schweife ab.

Nach eineinhalb Stunden stehe ich auf.

Bei meinem morgendlichen Spaziergang an den Ghats entlang (das sind die bekannten Treppen am Gangesufer) treffe ich einen jungen Kerl, der sich „Blue“ nennt und mir einen Boatride verkaufen will (was ich eh vorhatte). 

Wir einigen uns auf eine Stunde, und was soll ich sagen… Wow. Ich lerne in der Stunde (neben der fantastischen Aussicht vom Wasser eine Menge über Hinduismus und die Stadt).
 

Die Ghats vom Ganges aus.

Vom Duschen, Tauchen bis zum Zaehneputzen (weisses Unterhemd!)- alles gut gegen die Suenden des Alltags.

Flowers everywhere.
Sonnen(?)-Anbeter.

Und nein, ich bin nicht allein.
Nach dem Frühstück wandere ich durch die Gassen der Altstadt, die so aussehen wie ich mir Marrakesch vorstelle. Eng, urig, Minishops, Kühe und Hunde, Menschen. This is India.
 
Die "Main Road" der suedlichen Altstadt am Abend...
...und am Morgen danach.
Erneut an den Ghats entlang treffe ich einen anderen Kerl („Sky“, bestimmt der Bruder von „Blue“ – die gucken hier alle zu viel Bollywood), mit dem ich recht bald ins Gespräch komme. 

Wir unterhalten uns recht gut und interessant und er beweist ebenfalls Ortskenntnis, ohne sich, wie normalerweise, als Guide aufzudrängen.

Als wir am Jallahsey-Ghat ankommen, das ist der Hauptverbrennungsplatz in Varanasi, stellt er mich dem örtlichen „Manager“ dieses Ghats vor. Ob dieser das nun wirklich ist oder nichtweiss ich nicht, das ist aber auch nicht wichtig, denn was ich in den kommenden eineinhalb Stunden erlebe hats echt in sich.

Man darf von diesem heiligen „BurningGhat“ keine Fotos machen, deshalb versuche ich mal eine Beschreibung, dessen was ich erlebt habe.Beim Boattrip konnte ich jedoch einen Schnappschuss aus der Entfernung machen. Da war die Action noch nicht im Gange, aber Du bekommst einen Eindruck, was hier gerade los ist.

Das ist das Burning Ghat - das Holz liegt schon bereit...
Man muss sich das so vorstellen:

Eine ca. 50 m breite Freitreppe am Ufer des Ganges, die Gebäude und Tempel im Hintergrund sind vom Ruß geschwärzt. Auf dieser Treppe unterschiedlichste Plattformen, auf denen verschiedene Scheiterhaufen brennen. Rechts wird die Szene begrenzt durch einen ca. zehn Meter hohen Stapel aus Feuerholz, links befinden sich ein Teestand, Brennholzverkäufer und Krugverkäufer. 

Alles wimmelt von Menschen, es herrscht ein stetiges Gedränge, die Masse ist ständig in Bewegung, auf und ab, links und rechts. 

Manche tragen Alltagskleidung, manche weisse Saris, manche (fast) gar nichts. Frauen sind keine anwesend, die sind hier nicht zugelassen, seit eine Ehefrau früher Sati beging, d.h. sie hat sich auf den Scheiterhaufen ihres Mannes geworfen und ist mitverbrannt, um ebenfalls ins Nirvana zu gelangen (was aber nicht funktioniert, da sie ihren Lebenszyklus in diesem Fall nicht natürlich beendet hat). 

Also nur Männer. Die meisten stehen und trauern, einige tragen Feuerholz, wieder andere schüren die Feuer der ca. ein Meter hohen Scheiterhaufen, auf denen zuoberst die Leichname liegen, mit langen Bambusstangen und wenden die Leichname. 

Zwischendrin der mir mittlerweile vertraute Mix aus Kühen, Ziegen und Hunden, die in den allgegenwärtigen Haufen aus Asche, Blumen, Bambustragen, Teebechern, Saris, Kuhexkrementen und Hausmüll reichlich Essbares finden. 

Es riecht nach Feuer.

Ich lerne die Zeremonie einer hinduistischen Verbrennung:

Direkt nach dem Tod wird der Leichnam fünfmal massiert und mit unterschiedlichen Flüssigkeiten gesalbt (Honig, Kokosnuss, Safran, etc.). Die Verbrennung muss innerhalb von einem Tag nach dem Tod stattfinden, bevor sich die Seele im toten Körper „unwohl“ fühlt und der Körper deshalb anfängt zu stinken (schöne Begründung eigentlich).

Der Leichnam wird anschließend verhüllt (Männer in weißes Tuch, Frauen in Rot-Gold) und vor der Verbrennung zur Reinigung in den heiligen Ganges getaucht. 

Dann auf der Treppe abgelegt, bis ein Scheiterhaufenplatz frei wird, auf einen Scheiterhaufen gelegt. Dieser besteht aus fünf unterschiedlichen Holzarten (Sandelholz, Palme, Mango,…), damit beim Verbrennen kein Geruch entsteht. 

Überhaupt hat die Zahl fünf als Symbol der Elemente hier eine ständige Bedeutung.

Der älteste Sohn holt von der heiligen Flamme Shivas, die auf einem Balkon oberhalb der Freitreppe seit 3500 Jahren brennt und ständig von Sadhusbewacht wird, mit einem Büschel Gras Feuer, umrundet den Leichnam des Vaters bzw. der Mutter fünfmal und legt anschließend Feuer an den Scheiterhaufen. Dann wird je fünfmal am Kopf und den Füßen angefacht und fünf verschiedene Substanzen (Öl, Sandelholzpulver,…) über dem Feuer ausgegossen. 

Nach eineinhalb Stunden wird der Leichnam gewendet und erneut angefacht, nach drei Stunden ist alles verbrannt bis auf den Brustkorb bei den Männern und die Hüfte bei den Frauen. Diese Reste werden dem heiligen Ganges übergeben (=in den Fluss geworfen – nebenan baden die Pilger…). 

So wird der Körper – als Fahrzeug der Seele nach Beendigung der Inkarnation – den fünf Elementen zurückgegeben: Feuer, Erde und Wasser (als Asche im Fluss), Luft und die Seele steigt auf ins Nirvana. Nachdem die Reste der „heiligen Mutter Ganges“ übergeben wurden, holt der älteste Sohn fünf Tonkrüge mit heiligem Gangeswasser und löscht damit den Scheiterhaufen. 

Den letzten Krug wirft er blind über die Schulter auf das Feuer, der Krug zerbricht und löscht das Feuer, die Verbindung zwischen Familie und freiwerdender Seele ist damit getrennt, die Seele kann aufsteigen. 

Anschließend begeben sich alle Angehörigen ins Wasser um sich selbst zeremoniell zu reinigen und anschliessend die Segnung eines Brahmanen zu empfangen.

Soweit die Theorie.

All das passiert hier gleichzeitig.

Leute tragen Leichname ins Wasser, fachen Feuer an, trauern. Auf den Scheiterhaufen verbrennt das Tuch zuerst, man sieht Schädel und Rippen in den Flammen. Menschen stochern mit Bambus in den Scheiterhaufen herum, andere bringen neues Holz und schichten Haufen auf, ein in weiß gekleideter wirft einen Tonkrug hinter sich und geht ohne sich umzudrehen davon, die Asche spritzt in alle Richtungen. Nebenan legt einer Feuer an einen anderen Scheiterhaufen, zwei Meter weiter steht eine Kuh völlig unbeeindruckt von dem Schauspiel und kaut gelbe Opferblumen, unter einer Treppe werden die Köpfe von weißgekleideten kahlgeschoren, nebenan werden Sandelholz und Tee verkauft, Leute sitzen auf der Treppe und trinken aus kleinen Bechern, unterhalten sich. Im Wasser waschen Helfer die Asche mit Goldgräberschalen auf der Suche nach Ringen und anderen Schmuckstücken aus. 

Alles open air.

Madness.

Der „Manager“ führt mich mitten durch die Massen. Allein, zumal als Ausländer, wäre ich niemals hier hineingegangen. Ich werde auf eine der oberen Plattformen geführt, wo nur Angehörige der oberen Kaste verbrannt werden dürfen (Politiker und „VIPs“). 

Hier brennen drei Scheiterhaufen gleichzeitig, wir drücken uns zwischen Feuer und den Trauernden vorbei, die Hitze der Feuer ist immens, ich bleibe dicht hinter meinem Führer, damit nicht der Eindruck entsteht, ich streune hier einfach so umher.

Anschließend werde ich ins Hospiz geführt. Es ist das rußgeschwärzte Gebäude und gehört zu den Einrichtungen von Mutter Theresa. Innen drin sogenannte „Nurses“ (der Begriff „Krankenschwester“ greift hier nicht wirklich), Sterbende, die auf dem Boden liegen und ein Sadhu, der mich dafür, dass ich eine halbe Verbrennung für einen Armen spende (ca. 30 Euro, nach hiesigen Werten ein Vermögen), weiht und ein Mantra für mich murmelt.

Ich bin völlig platt.

Die Tempel hinter dem Ghat mit den darin lebenden Sadhus schau ich mir nicht mehr an, obwohl man von diesen Leuten wirklich fantastische Geschichten hört, Heilung tödlicher Kobrabisse und so. 

Völlig neben mir wanke ich durch die Souk-ähnlichen Altstadtgassen zurück in Richtung meines Guesthouse. 

Ich verspüre den Drang nach Luft und Wasser. Ich muss trinken und duschen.

Unterwegs kaufe ich noch Bananen, die ich bis zum Guesthouse zur Hälfte wieder hergeschenkt habe. Wenn die Bettler Bananen annehmen und sofort essen, weisst Du dass sies WIRKLICH brauchen.

Die Obsthaendlerin meines Vertrauens...
...und ein kleiner, froehlicher Inder.
Diese direkte Auseinandersetzung mit dem Tod ist für mich als Europäer völlig ungewohnt und vermutlich deshalb bin ich so durch den Wind. Dieser Ort verfügt über eine immense Energie. 

Noch vor drei Wochen bin ich mit dem Motorrad durch den „Swabian Summer“ gefegt und dabei mit hundertachtzig auch zweimal am Gedenkkreuz meines Schulfreundes Mark D. auf der B30 vorbeikommen. Was mich einerseits vom Gas gehen ließ und andererseits die Bilder seiner Beerdigung wieder entstaubt hat.

Bei uns ist eine Beerdigung immer etwas extrem Persönliches, obwohl man – skurrilerweise – am Grab selbst nur eine Schippe, einige Sekunden Zeit hat. Hier ist das GANZ anders. Die Verbrennung ist öffentlich und dauert drei Stunden, der Tod – bei „uns“ gern tabuisiert – ist ein völlig natürlicher Bestandteil des Lebenszyklus. Die Seele wird einem Zeremoniell folgend vom Körper und den Verbindungen zu Angehörigen und Freunden getrennt, so dass es „ihr gut geht“ d.h. sie sich einen neuen Körper für die nächste Inkarnation suchen kann. Weinen ist am Ghat nicht erlaubt.

Übrigens sind auch westliche Philosophen wie Nietzsche und Carl Gustav Jung zu der Überzeugung gelangt, dass es eine bzw. mehrere Reinkarnationen der menschlichen Seele geben muss. Weiss gar nicht warum sich die christliche Kirche so dagegen sträubt...

Ich hole mir einen halben Liter Mangosaft, setze mich im Sonnenuntergang auf die Dachterrasse und schaue vier Daecher weiter achtzehn Jungendlichen zu, die mit einem Ball an einer Schnur Rooftop-Cricket spielen. 

Jeder Homerun, also wenn der Ball vom Dach geschlagen wird, wird mit frenetischem Jubel bedacht.

Tod und Leben. 

So nah beieinander an diesem Tag.

Alles eins. 

Varanasi.



Stay tuned.