Samstag, 10. November 2012

Kapitel 9 - Mein erstes Mal...

Welcome back. In den letzten Tagen gabs ziemlich viele erste Male.

Zum ersten Mal 
-      So richtig Bus fahren 
-      zu Fuss über eine Grenze 
-      Fahrradrikscha fahren (lassen) 
-      Eine indische Stadt „geniessen“ 
-      Bahnfahrkarten kaufen wollen


Doch der Reihe nach.

Maike ist weg. Zurück nach Deutschland. 

Wir haben nach dem Trekking einige wunderschöne Tage in Pokhara mit gutem Essen, gutem Kaffee, Bootfahren auf dem See, Souvernishoppen, Safari-Lodge-stylemäßig abhängen und Ausschlafen verbracht. HerrlichI

Fewa-See-Romantik

Maike hat Spass beim Yakrodeo - acht Sekunden sind um
Bei mir zickt der Gute dann auf einmal rum. War ja klar.
Als Belohnung gibts keniale Safari/Lodge mit 8000er-Blick. Welkom tu Africa.
Wir haben uns heute mit Mietraedern unters Volk gemischt. Frucht gibts beim - richtig - Gemuesehaendler.
Am „Tag danach“ - ich habe mal wieder Blues-day - besuche ich Bhaktapur, die alte Königsstadt von Nepal. Ist UNESCO-Weltkulturerbe, und das echt zu recht.

Mal nochn anderes Viertel von Kathmandu - gleiches Chaos
Der Hauptplatz mit Riesenpagode - zum Preis eines Abendessens goenne ich mir eine FROZEN LATTE MACCHIATO. YES!
Im ganzen Land ist grad Erntezeit - und das funktioniert hier noch wie vor 1000 Jahren. Von Hand...
Das sind die Durga, die elf Manifestation der Parvati, der Ehefrau von Shiva, seines Zeichens hoechster Gott der Hindus. Die Durga sind so dermassen furchteinfloessend dass sie sogar ganze Wohnviertel schuetzen koennen. Der elfte ist vermutlich grad auf Toilette oder vertreibt nen Geist oder ne Hungersnot oder so.
Der oertliche Mammut-Headstore. (hoffentlich liest das keiner von den Jungs...)
MeineWetterapp sagt (immer noch) Temperaturen an, bei denen ich keine Lust verspüre, auch nach D abzudüsen. Steht ja auch gar nicht zur Debatte. Stattdessen wälze ich lieber den Reiseführer und die Indienkarte zusammen mit einer Tabelle, in die ich die Tage bis Weihnachten (bzw. bis zum dritten Advent) eingetragen habe. Und stelle fest: Ich habe verdammt wenig Zeit….

Der Baum, unter dem Buddha die Erleuchtung erlangte oder Rishikesh, die World Capital of Yoga? Oder Yoga dann doch in Goa? Ein Retreat oder mal so nen Schnupperkurs? Oder alles weglassen und „einfach so“ reisen und einfach nochmal zu kommen? Reicht mir die Zeit überhaupt für die Hauptroute?

Egal wie ichs anstelle – ich bin übrigens noch nichtmal in Indien– also für den Fall, dass der Björn morgen in Indien einmarschiert: Ich krieg auf jeden Fall nicht alles hin was ich gerne sehen und machen würde. Egal wie man anstellt; man kriegt glaub immer nur einen Schnappschuss.

Hmmmmm. 

Da muss ich mich jetzt erstmal mit anfreunden. Naja, Indien ist ja auch kein Land sondern ein Kontinent. Mein Vater warnte mich im Vorfeld mehrmals: „Achtung. Die Entfernungen sind groß und die Reisegeschwindigkeit klein“. Zumal als Individualreisender.

Was das heisst habe ich heute zum ersten Mal erfahren. Sechzehn Stunden Busfahrt über Land von Kathmandu bis hier an die Grenze. Das ist das Möglichste einer Tagesetappe und ich muss abends  aufpassen, dass ich nicht die Lust verliere. Zur Belohnung gibt’s ein feines, sauberes Hotelzimmer mit ordentlichem Bad und dazu ein hausgemachtes Curry.

Die Abfahrt war also heute früh also mitten in der Nacht um vier. Vor der Fahrt werden Räucherstäbchen angezündet und zum Start dürfen alle aussteigen und anschieben, anscheinend hat der Scheinwerfer zum Beladen die Batterie leergesaugt.
Ich bin der einzige Tourist im Bus. Obwohl es noch mitten in der Nacht ist, ist an Schlaf nicht zu denken. Der Fahrer heizt, als seien seine Ahnen hinter ihm her. Es ist kühl im Bus, da die Nepalis bevorzugt mit offenen Türen fahren. 

Ich schaffe es trotzdem, eine oder zwei Stunden zu nicken. Als ich aufwache und den Vorhang zurückziehe, will ich ihn reflexartig sofort wieder zumachen. Was ich da sehe, löst dann doch einen gewissen Fluchtreflex aus. Ich wusste gar nicht, dass man Busse so dynamisch fahren kann. Scheint Berufsehre zu sein…

Alle zwei Stunden gibt’s eine kurze Pinkel- und Kippenpause, dann geht’s mit Vollkaracho weiter. Unser Fahrer lebt auf der Überholspur. Hier wird vor und beim Überholen ständig gehupt, damit der Überholte hören kann, wo der Überholer grad ist. Von den 16 Stunden steht unser Fahrer 16 auf der Hupe. Kein Scherz.

Dazu scheppert der siebzehnte Bruder von Panjabi MC aus den Uraltboxen (habt ihr echt geglaubt, der istn Einzelkind???) Ich habe mittlerweile Ohrstöpsel angelegt.

Den Verkehr auf dem „Mahendra Highway“ (vgl. Landstrasse Degerloch-Möhringen oder Mettenberg-Oberhöfen oder so) muss man sich vorstellen wie auf ner Skipiste - halt mit Gegenverkehr. Wer von hinten kommt muss aufpassen (= hupen) und ggf bremsen. Ansonsten gibt’s keine weiteren Regeln. Man guckt halt dass keiner zu Schaden kommt. Das beinhaltet freundlicherweise alle Lebewesen inkl. Kühe (klar), Ziegen, bis zum Hundewelpen. 

Dafür ist alles so schön bunt. Der Nepali (der Inder übrigens auch) ist sehr phantasievoll mit der thematischen Verzierung seines Gefährtes. Wir treffen, AC/DC, Lionel Messi, Bob Marley, Batman, Superman, Jim Morrison, den FC Barcelona, Playstation, Volvo und Adidas (sry, Carmen ;-)). An der Rückseite hängen dann gerne auch mal alte Radkappen, Müllkörbe oder einfach Sandalen. Alles sehr pragmatisch. Ne Radkappe kann man schliesslich immer brauchen. 


Nach vier Stunden gibt’s einen kurzen Zwischenstopp, die Tochter das Familie neben mir  muss kotzen. Was den Vater dazu veranlasst, lautstark seinen Missfallen am Fahrstil zum Ausdruck zu bringen. Der Fahrer wiederum – wild gestikulierend – dreht sich um und kann das so nicht auf sich sitzen lassen. Bei voller Fahrt. Spannende Szene. Alles geht gut.

Die Mittagspausen sind erstaunlich gut organisiert. Wir halten an einem Roadhouse, alle rennen rein zum Händewaschen, gegessen wird – genau – mit den Händen. Es gibt genau ein Gericht, ein Mixed Plate (Aluteller mit Alles) mit Chapati (Brot) oder Reis. Auf jedem Tisch stehen wiederaufgefüllte Flaschen mit Wasser ausm Bach. Die lass ich weg, das gibt sonst wieder Kotzerei. Zum Essen hat man etwa zehn Minuten, bezahlt wird beim Rausgehen als Festpreis pro Person (200 Rupien, ca. 2 Euro). Ich hab den Teller nicht leer, da steht unser Bus schon wieder ausgeparkt und hupend. Geht ratzfatz. Und Vollgas nach Osten.

Draussen fliegen die Dörfer und Felder an uns vorbei – wir zischen durchs Land wie ein Pfeil. Zwischendurch dürfen immer mal wieder Jungs mit Nüssen, Wasser, Kokosnüssen, Gurken, Mandarinen den Bus entern, um für ein paar Cent ihre Waren loszukriegen. Die kleinsten sind noch Kinder und tragen so den ganzen Tag zwei Flaschen Wasser und eine Tüte Chips umher. Krass. Wahrscheinlich haben die Eltern kein Geld für eine Schule, denn unterwegs kommen wir an einigen Dorfschulen mit uniformierten Kindern vorbei. Wie auch an einigen weissen UN-Jeeps. Die ländlichen Gegenden könnten so auch im Sudan stehen, in den größeren Örtchen gibt’s dann aber wieder Mopeds, Strom und Handys. So verbringe ich die Zeit mit Mandarinen, Keksen und der Frage, was ist erste Welt, was ist zweite und was dritte. Geht das so überhaupt? Ich weiss nicht.

Das ist der oertliche Moebelfabrikant. Alles garantiert Handarbeit.
Und hier gibts noch ECHTE Gentlemen! Wer schon vier Frauen (und kein Auto) hat, der kriegt wenigstens stramme Wadeln ;)
Der Terai, die Tiefebene. Asien wie aus dem Bilderbuch.
Interessanterweise fährt unser Fahrer die vollen sechzehn Stunden durch.

Ich checke Uhr und Karte und stelle fest, wir kommen auf keinen Fall mehr bei Licht an. Das merken die drei auch und der Fahrer holt alles aus dem Karren was drin ist. Die gesteigerte Geschwindigkeit zeigt sich auch daran, dass die Fahrgäste, so sie nicht aufspringen, einfach nicht mitgenommen werden. Aussteigende Fahrgäste werden mit Koffer im Strassenstaub abgeworfen. Der Gepäckverstauer klettert mittlerweile bei voller Fahrt – das sind immerhin 70 bis 80 Sachen inklusive Schlaglöchern und Links-Rechts-Links-Schlenkern (Fußgänger links –Gegenverkehr rechts –Rikscha links) auf und vom Dach und hantiert oben mit den Koffern. Ich sehe am Schatten unseres Buses, dass er noch da ist.

Mittlerweile wird es dunkel. Nun weiss ich warum der Fahrer so aufs Gas gedrückt hat.

Am nächsten Morgen bin ich um fünf wach und mache mich kurz nach Sonnenaufgang zu Fuß auf den Weg zur Grenze. 
Das ist das erste Mal, dass ich eine „echte“ Grenze zu Fuß überquere. Vor der Brücke ins Häuschen, Papiere ausfüllen, dann zwei Kilometer an Militär vorbei über eine Brücke laufen, danach rechts ins Haus um einen Stempel zu holen. 

Der Governeurspalast sieht brutal verfallen aus. Als ich reingehe, kommt mir ein Obdachloser mit Handtuch entgegen, der sich hier eingenistet hat. Die Präfektur sei zwei Minuten weiter. Aha.

Lies "Office of the Superintendent of Customs". Ja-Woll! Ich glaub ja mittlerweile der wohnt ganz woanders.
Und tatsächlich, ich finde das Immigration Office. Der Hausherr fegt grad in Uniform die Veranda, mit Shotgun aufm Rücken. Alles paletti. Small Talk. Stempel. Welcome toIndia.Namaste.

Vier Stunden später.

Was für ein Irrenhaus. 

Was für ein Irrenhaus.

Nichts anderes ist das hier.

Meine erste Konfrontation mit der indischen Realität heisst "Siliguri". Siliguri ist der erste größere Ort nach der Grenze, unumgänglich auf dem Weg nach Darjeeling und ein heißer, staubiger und vor allem lauter Moloch. 

Das westliche Hirn ist an sowas nicht gewöhnt, die Filter laufen schon nach zwanzig Minuten auf Grund der ständigen Reizüberflutung über, das Hirn fühlt sich früh um halb elf an wie abends um sechs nach nem langen Arbeitstag. 
Die Folge: Aus drei Stunden werden neun, jeder Tag dauert eine Ewigkeit.

Ich stehe am Bahnhof, nachdem ich zum ersten Mal eine Reservierung im indischen Bahnsystem vorgenommen habe. Im „Railway Reservation Office“. Am anderen Ende der Stadt als der Bahnhof.

Dorthin fahre ich zum ersten Mal Fahrradrikscha. Und retour gleich nochmal. Macht Spass. Wenn man hinten sitzt. Und ist spottbillig. Fast schon unanständig, dass ein anderer Mensch für 30 Cent derart für mich ackern muss.

Sieht harmloser aus als es ist. Bei dem Bild fehlt der Ton.
Der obligatorische Rueckstau beim Linksabbiegen...
In vier Tagen – also nach Darjeeling - möchte ich von Siliguri mit dem Schlafzug nach Varanasi (oder zumindest in die Nähe). 

Ohne hier ausschweifen zu wollen –  in meinem Reisführer belegt das Kapitel „Zugfahrkarte kaufen“ zehn Seiten. Plus die Angaben bei den jeweiligen Orten plus die Fahrplantafeln im Anhang. Ohne das Buch hätt ich nicht den Hauch einer Chance gehabt. 

Netterweise hilft mir ein Rentner, dem ich einen Platz in der Schlange freihalte. Außerdem weiss ich jetzt, warum diese Fahrkartenschalter immer so kleine Fenster haben. Da passen so nämlich immer noch drei indische Arme durch, um dem Beamten damit vor der Nase rumzuwedeln. Der wiederum hat seinen Aufbaukurs in Meditation mit Bravour bestanden und zählt erstmal zehn Minuten lang Scheine.

Mission Teilerfolg: Ich hab die Reservierung, bin allerdings auf ner Warteliste, was nach Angaben meines Rentnerfreundes jedoch kein Problem sei. Einfach am Tag davor nochmal kommen und die Reservierung confirmen lassen. Prost Mahlzeit. Die Hoffnung stirbt zu letzt. Mach ich.

Jetzt also vor dem Bahnhof: Der Zug nach Darjeeling fährt so gar nicht mehr und Busse gibt’s anscheinend auch keine. Also gebe ich nach einer Stunde in diesem Open-Air-Irrenhaus auf und kaufe einen Platz in einem Jeep, der nach Darjeeling fährt. Der faehrt erst wenn er voll ist. Derweil kann ich noch Proviant shoppen.

Chips, Zuckerwatte, Gluehbirnen. Die All-in-one-Solution heisst nicht Wal-Mart, sondern Abu's Kwik-E-Mart. Gleich beim Bahnhof.
Zwei Minuten aus der Stadt raus und wir fahren durch endlose Tee-Plantagen. Wunderschoen. Später dann die Serpentinen, die manch einer auf Bildern schon mal gesehen hat.




Tee soweit das Auge reicht.

Der Weg ins Tee-Paradies. Wir werden sehen...
Die Schlepper am Busbahnhof scheinen nicht gelogen zu haben, dass hier keine Busse fahren. Die drei Stunden Schlaglochserpentinen würde ich nicht mal mit nem normalen PKW fahren.   

Das denkt sich der Inder auch und so fahren hier 95% Jeeps umher. Ich sitze zu viert im Kofferraum, auf der Rückbank hat eine indische Kleinfamilie Platz genommen (sechs), in der ersten Reihe der Fahrer plus zwei. Viel Spass beim Rechnen. ;)

Ja, ich gebe es zu: Ich hatte heut nen Kulturschock. Obwohl ich gerne reise und der Meinung bin, auch schon rumgekommen zu sein – es gibt Tage, da denkste was ist das denn bitte für n #%&!‘ß!!! 

Jetzt erstmal drei Tage Darjeeling… Alles wird gut.

Beim naechsten Mal: Crashkurs fuer Tee-Kenner. Vom Dummy zum Connaisseur in gerade mal zehn Minuten. Gerade richtig zur kalten Jahreszeit. Special price for you my friend.

Stay tuned.

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