Dienstag, 13. November 2012

Kapitel 10 - Kaffee oder Tee?



Endlich.

Sonne. Frühstück. Warm.

Ich sitze in der Sonne auf der Dachterasse des Keventer’s und habe gerade ein Sandwich und eine Kanne Tee bestellt. Ausnahmsweise. 
 
Ich bin in Darjeeling.

Es ist neun Uhr morgens und ich bin mal wieder schon fünf Stunden auf den Beinen. Also eigentlich eher Zeit fürs Mittagessen.


Darjeeling legt ja angeblich Wert darauf, mehr zu sein als nur „der beste Tee der Welt“. Ursprünglich eine alte britische „Hill Station“, wohin die Briten während der Kolonialzeit im Sommer geflohen sind, wenn es in der Ganges-Tiefebene zu heiß ist. Regen und Nebel findste überall, mussthalt nur weit genug fahren. Die spinnen die Briten.

Nun, Darjeeling hat tatsächlich mehr zu bieten als nur Teeplantagen, so dass es sich hier gut drei Tage aushalten lässt.

Wie gesagt, ich bin heute (mal wieder) um halb vier aufgestanden. Wenn ich schonmal da bin.

Denn:

In der Nähe von Darjeeling liegt der Tiger Hill. Hier einen Sonnenaufgang zu sehen ist eine der Hauptattraktionen.Man steht auf dem höchsten Hügel im Umkreis über den umliegenden Bergen, unten liegen Nebel und Wolken in den Tälern und man sieht bis zum „Kantsch“ (Kanchenjunga), nach Everest und K2 der dritthöchste Berg im Himalaya, wenn die Sonne anfängt, ihn erst rot, dann orange und schließlich weiß strahlen zu lassen. Naturshow.

Dass man bei so einer Angelegenheit – zumal in Indien – nicht alleine ist, liegt auf der Hand. Ich bin fast schon zu spät dran, erkämpfe mir am Funkturm der Aussichtsplattform noch einen Platz auf der Treppe in der ersten Reihe. Voila! Dass so ein Spektakel mit ner Mini-Digicam nicht auch nur annähernd wiederzugeben ist, weiß jeder, der das schonmal selbst versucht hat. Also eher so eine Art Gedächtnisstütze.

Und weil Amateur-Sonnenaufgangsbilder eh jeder kennt, das Licht am Morgen so genial ist und man mich in den bisherigen Blog-Bildern nur sehr selten sieht, gibt’s jetzt auch mal ein Selbstporträt. Nicht dass ihr noch vergesst wie ich ausseh. ;)

Die Sonne...
..die Inder...
...der Kantsch und ich.
Zurück am Bahnhof warte ich eine halbe Stunde bis der Schalter öffnet um ein Ticket für den „Toytrain“ zu bekommen. Selbiger ist natürlich längst ausgebucht, ich spreche beim Bahnhofsvorsteher vor, zwei Besuche und zwei Stunden später – zwischendrin besagtes Frühstück im Keventers, verybritish – sitze ich im Zug und tucker durch die Wallachei.

Aaaalso…

Der „Toytrain“ ist so eine Art Öchsle Indiens, eine alte Dampflok auf Schmalspur zwei Fuss oder so (das sind grad mal 60 cm… Und darauf soll ne Eisenbahn balancieren). Diese Eisenbahn fuhr früher das, was ich mit dem Jeep hier hoch gefahren bin (und früher mit Ochsenkarren vier Tage gedauert hat) und macht dabei sogenannte „loops“ und „Z-reverses“, d.h. sie fährt vor, zurück, vor, zurück und so den Berg rauf. Ok ok, Eisenbahn-Nerd-Talk. Ich kenn mich ja auch nicht aus. 

Die Fahrt ist ein sogenannter „Joy Ride“, der Zug fährt bis zum nächsten Ort und zurück. Die ursprüngliche Strecke bis runter nach Siliguri dauert eigentlich acht Stunden und wird nicht bedient, da es wohl Erdrutsche unterwegs gab. Jedenfalls ist so ein „Joy Ride“lohnendmit Stops an schönen Aussichtspunkten und so.

Ride with style, sehr kolonial. Wann wurde eigentlich die Londoner Subway in Betrieb genommen?

Macht Dreck + macht Krach + bewegt sich + macht Spass. Maennerhobby.

Malerische Ausblicke. Darjeeling von oben.

Der Oberkontrolleur erinnert mich brutalst an meinen (mittlerweile verstorbenen) Saxophonlehrer. Vielleicht wurde er ja als Schaffner reinkarniert.
Ich frag mich wie es hier ohne die Briten heute aussehen würde…. Wahrscheinlich wie am Everest drüben. Alles zu Fuss mit Sherpa. Verrücktes Volk. Die Briten mein ich. Die Inder auch, klar. Vielleicht hat ja während der Kolonialzeit deshalb alles „so gut“ geklappt. Anyway.

Am nächsten Tag besuche ich das „Tenzing-Norgay“-Mountain Museum, in dem Originalausrüstung und Zeitungsartikel der Erstbesteigung von 1953 ausgestellt (für Fans spannend) sind sowie den hiesigen Zoo, der unter anderem Panther, Leoparden und bengalische Königstiger hält.

Schöne Tiere. Dass die hier nicht gerade artgerecht gehalten werden ist klar, das geht ja auch gar nicht. Insofern sind die Tiere hier sicherlich degeneriert… Aber eindrucksvoll sind sie allemal. Und ich stelle fest, dass der Disney-Baghira mit seinem Blick der Realität schon verdammt nahe kommt (siehe unten).

Halloooo Mietzekatze! Miau! Oh Gott, den wuerd ich SOFORT mit nach Hause nehmen. Neugierig isser, der Gute.
Die Augen des Tigers erinnern mich irgendwie an die eines Hais, weiß auch nicht wieso.Vielleicht weil er – anders als die anderen Katzen hier – einem nicht in die Augen schaut. So nach dem Motto „ Du bist eh keine Beute für mich“. Vielleicht aber auch, weil im Nachbargehege gerade die Tigerdame flaniert und der Gute nur Augen für sie hat. Gut für mich und einen Schnappschuss. Ein Hundeleben! So nah und doch auf ewig getrennt.


Koenigliche, arme, Tschuldigung, Sau!
Szenenwechsel.

Ich befinde mich im „Happy Valley Tea Estate“ bei der Teeprobe, nachdem ich eine Einzelführung durch die Produktion geniessen durfte (Bakschisch…). Bei der Verkostung treffe ich drei Norweger (Henriette, Ian und Andy), wir verabreden uns spontan zum Dinner und schlemmen in einem der hiesigen Upper-Class-Restaurants. Die drei sind Journalistikstudenten aus Oslo und machen so ne Art Auslandsstudienarbeit. Zum Abschied schenkt mir Henriette für die bevorstehenden Zugfahrten zum Abschied den „Gott der kleinen Dinge“ von Arundhati Roy, ein indischer Bestseller, der mir die kommenden Tage sicherlich angenehm gestalten wird. Ich bin gespannt. Auf Buch und Zug.

Abends mache ich bei mir auf der Veranda noch eine Stunde Fitnesstraining mit meinem selbstgebauten Pocket-Sling-Trainer (der besteht aus einer Wäscheleine akaReepschnur, drei Karabinern und zwei Rohrstücken vom Schrott als Griffe). Als ich nach fünf Minuten aus der Dusche komme, sind meine Handschuhe geklaut, die ich zum Trocknen in die Sonne gelegt hab. Oh Mann!

Ich rege mich auf – darüber, dass hier anscheinend alles geklaut wird was nicht niet- und nagelfest ist. Und darüber, dass ich immer an das Beste im Menschen glauben will.

In einem Land wie diesem (ich wills nicht Land der Diebe und Betrüger nennen, aber in den letzten Tagen habe ich echt haufenweise Stories gehört hier versucht ja auch jeder x-beliebige Taxifahrer und Gemüsehändler, Dich übern Tisch zu ziehen…) wohl definitiv fehl am Platz.

Ich nehme es als Lektion und mache mir Merksprüche in mein Reisebuch, immer wachsam zu bleiben und – vor allem wenn ich müde bin – hochkonzentriert zu sein, sobald mich ein Inder anquatscht.

Wenn das der Preis war, dass mir auf dem Rest der Reise nicht Wertvolleres wie Pass, Geld, Kreditkarte, Laptop oder gar der ganze Rucksack geklaut werden, dann kann ich diesen Streifschuss gut akzeptieren. Es liegt an mir. Also: „Konzentrier Dich Björn“!

Ansonsten waren die Tage hier gewürzt mit sehr interessanten Bekanntschaften. Über die Leute, denen man so „on theroad“ begegnet, gibt’s irgendwann ein Extra-Kapitel (Ich bastel grad wieder an nem Gewinnspiel… ;-)).

Das hier ist...mittags um eins. Ich kenn eigentlich nur den Kerl ganz rechts. Die anderen wollten unbedingt mit aufs Bild. Der Inder ist also das Gegenstueck zum Japaner. Der will alles fotografieren, der Inder will immer fotografiert werden....


So, und zu guter Letzt für heute kommt hier nun das Tee-Educational… ;)

Es gibt schwarzen, grünen und (anscheinend) auch weissen Tee. Nix Neues soweit.
Alles kommt aus derselben Pflanze, nur die Behandlung unterscheidet sich. Gepflückt wird der Tee von Hand und die Teeplantagen sind irre steile Hänge, dagegen sind die Stuttgarter Weinlagen ein Spaziergang. Jede Pflückerin arbeitet sechs Tage die Woche und erhält ca. 1,40 Euro pro Tag.

Noch am selben Tag werden die gepflückten Blätter in langen Trögen mit Ventilatoren luftgetrocknet, das geht über Nacht und dauert 15 Stunden, bis die Blätter am nächsten Morgen noch 65% Feuchte haben (wie die das messen, hab ich mich nicht getraut zu fragen. Wahrscheinlich wird hier gar nix gemessen, sondern alles wie seit hundert Jahren gemacht: Erfahrung…).

Danach werden die Blätter in uralten Maschinen „gerollt“, also sonbissleangequetscht, damit der Saft und das Aroma aus dem Blatt austreten. Aus der Rollmaschine geht’s auf nenFermentiertisch, d.h. die Blätter werden einfach aufgeschichtet und ne halbe Stunde „ankompostiert“. Anschließend geht’s in nenUralt-Durchlauftrockner (bis hier ist aller Tee noch eine Masse) und anschließend auf fünf übereinanderliegende Rüttelsiebe, die die Blätter automatisch nach Größe sortieren.

Verpacken, fertig. So einfach. Seit 1852.

Das Happy Valley Tea Estate

Das sind diese "Rolltische". Wer sich das wohl damals ausgedacht hat. Eisenbahntechnik vom Feinsten. :)

Eine Pflanze, zwoelf Tees. Simple Things made complicated.

Und wenn Du Dich bei Deiner Oma nächstes Mal als Tee-Kenner outen willst:

Generell wird unterschieden zwischen „First Flush“, das ist die Frühlingsernte, ein heller Tee, und „Second Flush“, die Sommerernte, eher bernsteinfarben in der Tasse. Man sagt der Unterschied sei so groß wie bei Rotwein und Weißwein.

Dann wird natürlich unterschieden nach Anbaugebiet. Darjeeling ist bekannt für feine Noten, weil er aus hohen Lagen kommt. Tee aus Assam (der nächste indische Bundesstaat im Osten, liegt niedriger) sei längst nicht so fein in Duft und Geschmack, eher kräftig (Also wie Bordeaux und Rioja, wir erinnern uns ;-)).

Die Qualität wird nach Blattgröße unterschieden, je größer die Blätter desto teurer. Ganze Blätter sind also am teuersten. Es gibt also „leaves“, „brokenleaves“, „fannings“ und „dust“. D.h. nächstes Mal in der Küche einen unauffälligen Blick in die Kanne werfen und Du weisst Bescheid. 
Und dann in die Tasse, um eine Groborientierung zu bekommen.

95% aller Tees, die man kaufen kann, sind „geblendet“ (wie beim Whisky), d.h. Tees verschiedner Plantagen werden so abgemischt, dass gewünschter Geruch, Farbe und Geschmack entstehen. Blends erkenne man anscheinend daran, dass Geruch und Geschmack nicht vollständig übereinstimmen. 

Ich versuchs bei der Teeverkostung, aber das ist wie beim Wein, da schmeck ich auch gern mal Schokolade, Tomaten oder Kohlrabi im Abgang.…

Die Tasse im Glenary`s danach identifiziere ich könnermäßig als Second Flush, Fannings, blended.

Und so sieht er aus, der beste Tee der Welt. Viel Spass beim  nächsten Tee-Kauf!
Second Flush. Vollmundig am Gaumen, leicht bitter im Abgang mit einem Hauch von Schokolade.

PS: Die Züge nach Varanasi und Agra sind gebucht, morgen geht’s los.
Life is where the comfort zone ends.

Stay tuned.

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