Sonntag, 18. November 2012

Kapitel 11 – The City of Burning Men



„It WILL hit you.“

Das hatten mir die drei Norweger vor einigen Tagen beim Abendessen mehrfach versichert.

It just hit me.
 
Ich bin in Varanasi.

Varanasi liegt in der Mitte von Indien direkt am Ganges und ist für die Hindus, und neunzig Prozent der Inder sind Hindus, also eine runde Milliarde Menschen, die heiligste aller heiligen Städten. Varanasi liegt also – mit Bezug auf die Bedeutung für eine der Weltreligionen - in einer Liga mit Jerusalem und Mekka.

Wer hier stirbt, anden Ufern des Ganges verbrannt wird und wessen Asche anschließend dem heiligen Fluss übergeben wird, der darf damit rechnen, den ewigen Kreis der Reinkarnationen zu durchbrechen und ins Nirvana zu gelangen. So spricht der Sadhu.

Fast genauso gut, nämlich die Reinigung aller Sünden, verspricht dem irdischen Hindu ein Bad in den Wassern dieses heiligen Flusses. Der Local badet aus diesem Grund täglich im Fluss. Das wäscht nicht nur dauerhaft alle über den letzten Tag begangenen Sünden hinfort, sondern stärkt ganz nebenbei auch noch die Abwehrkräfte.

Nun, beides (Kremation und Bad) folgt recht strengen Ritualen und Zeremonien, die einem christlich aufgewachsenen Europäer wie mir nur teilweise zugänglich und nachvollziehbar sind.

Abgesehen davon würde ich mich eh nicht trauen, in der Brühe zu baden. Meine Inkarnation wäre wohl schneller beendet als ich „Shiva“ sagen könnte. Der Ganges sieht aus wie der Ummendorfer Baggersee im Jahrhundertsommer, nur dass hier noch haufenweise Müll, Blumen, Saris und anderes Gebein (siehe oben) als Zugabe umhertreiben. Von fiesen kleinen Tierchen, die ich nicht sehen kann, abgesehen.

Nun, der Tag hatte fantastisch begonnen.

Um fünf Uhr in der Früh werde ich skurrilerweise vom Muezzin der benachbarten Moschee geweckt. „ Allaaaaaaahuakebaaaaaaarallaaaaaaaaahuakbaaaahr.“ In der heiligen Hindustadt.

Hinduismus ist heute anscheinend recht tolerant (wenn der Muslim nicht grad Pakistani ist). An die Allahrufe schließt sich eine Stunde eigenartiger Radau an. Vielleicht hat der Muezzin einfach vergessen, den Lautsprecher auszuschalten und hört gerade die Morgennachrichten von Radio Mumbai, Delhi und Kerala gleichzeitig. Vielleicht will er aber auch dem Hindu einfach eins auswischen, indem er ihn nicht ausschlafen lässt und sich dabei auf seine Religion beruft.

Könnte mir gut vorstellen, dass die Moslems im 15. (?) Jahrhundert Indien erobert haben, indem sie in der Nacht vor einer wichtigen Schlacht so viel Radau veranstaltet haben, dass die die Hindu-Krieger am nächsten Morgen schlecht ausgeschlafen waren und dann eins übergebraten bekamen. 

In der Schule (vermutlich auf dem Pausenhof) hab ich mal gehört, dass die Schotten 1066 beim Battle of Hastings deshalb ihre Unabhängigkeit an die Briten verloren, weil sie am Vorabend schlichtweg zu viel gesoffen hätten und deshalb die Schlacht verloren. Würde mich nicht überraschen, wenn die Sauferei von einem britischen Geheimagenten angezettelt worden wäre. 

James Bond meets Braveheart. Der Rest ist Geschichte.

Ich schweife ab.

Nach eineinhalb Stunden stehe ich auf.

Bei meinem morgendlichen Spaziergang an den Ghats entlang (das sind die bekannten Treppen am Gangesufer) treffe ich einen jungen Kerl, der sich „Blue“ nennt und mir einen Boatride verkaufen will (was ich eh vorhatte). 

Wir einigen uns auf eine Stunde, und was soll ich sagen… Wow. Ich lerne in der Stunde (neben der fantastischen Aussicht vom Wasser eine Menge über Hinduismus und die Stadt).
 

Die Ghats vom Ganges aus.

Vom Duschen, Tauchen bis zum Zaehneputzen (weisses Unterhemd!)- alles gut gegen die Suenden des Alltags.

Flowers everywhere.
Sonnen(?)-Anbeter.

Und nein, ich bin nicht allein.
Nach dem Frühstück wandere ich durch die Gassen der Altstadt, die so aussehen wie ich mir Marrakesch vorstelle. Eng, urig, Minishops, Kühe und Hunde, Menschen. This is India.
 
Die "Main Road" der suedlichen Altstadt am Abend...
...und am Morgen danach.
Erneut an den Ghats entlang treffe ich einen anderen Kerl („Sky“, bestimmt der Bruder von „Blue“ – die gucken hier alle zu viel Bollywood), mit dem ich recht bald ins Gespräch komme. 

Wir unterhalten uns recht gut und interessant und er beweist ebenfalls Ortskenntnis, ohne sich, wie normalerweise, als Guide aufzudrängen.

Als wir am Jallahsey-Ghat ankommen, das ist der Hauptverbrennungsplatz in Varanasi, stellt er mich dem örtlichen „Manager“ dieses Ghats vor. Ob dieser das nun wirklich ist oder nichtweiss ich nicht, das ist aber auch nicht wichtig, denn was ich in den kommenden eineinhalb Stunden erlebe hats echt in sich.

Man darf von diesem heiligen „BurningGhat“ keine Fotos machen, deshalb versuche ich mal eine Beschreibung, dessen was ich erlebt habe.Beim Boattrip konnte ich jedoch einen Schnappschuss aus der Entfernung machen. Da war die Action noch nicht im Gange, aber Du bekommst einen Eindruck, was hier gerade los ist.

Das ist das Burning Ghat - das Holz liegt schon bereit...
Man muss sich das so vorstellen:

Eine ca. 50 m breite Freitreppe am Ufer des Ganges, die Gebäude und Tempel im Hintergrund sind vom Ruß geschwärzt. Auf dieser Treppe unterschiedlichste Plattformen, auf denen verschiedene Scheiterhaufen brennen. Rechts wird die Szene begrenzt durch einen ca. zehn Meter hohen Stapel aus Feuerholz, links befinden sich ein Teestand, Brennholzverkäufer und Krugverkäufer. 

Alles wimmelt von Menschen, es herrscht ein stetiges Gedränge, die Masse ist ständig in Bewegung, auf und ab, links und rechts. 

Manche tragen Alltagskleidung, manche weisse Saris, manche (fast) gar nichts. Frauen sind keine anwesend, die sind hier nicht zugelassen, seit eine Ehefrau früher Sati beging, d.h. sie hat sich auf den Scheiterhaufen ihres Mannes geworfen und ist mitverbrannt, um ebenfalls ins Nirvana zu gelangen (was aber nicht funktioniert, da sie ihren Lebenszyklus in diesem Fall nicht natürlich beendet hat). 

Also nur Männer. Die meisten stehen und trauern, einige tragen Feuerholz, wieder andere schüren die Feuer der ca. ein Meter hohen Scheiterhaufen, auf denen zuoberst die Leichname liegen, mit langen Bambusstangen und wenden die Leichname. 

Zwischendrin der mir mittlerweile vertraute Mix aus Kühen, Ziegen und Hunden, die in den allgegenwärtigen Haufen aus Asche, Blumen, Bambustragen, Teebechern, Saris, Kuhexkrementen und Hausmüll reichlich Essbares finden. 

Es riecht nach Feuer.

Ich lerne die Zeremonie einer hinduistischen Verbrennung:

Direkt nach dem Tod wird der Leichnam fünfmal massiert und mit unterschiedlichen Flüssigkeiten gesalbt (Honig, Kokosnuss, Safran, etc.). Die Verbrennung muss innerhalb von einem Tag nach dem Tod stattfinden, bevor sich die Seele im toten Körper „unwohl“ fühlt und der Körper deshalb anfängt zu stinken (schöne Begründung eigentlich).

Der Leichnam wird anschließend verhüllt (Männer in weißes Tuch, Frauen in Rot-Gold) und vor der Verbrennung zur Reinigung in den heiligen Ganges getaucht. 

Dann auf der Treppe abgelegt, bis ein Scheiterhaufenplatz frei wird, auf einen Scheiterhaufen gelegt. Dieser besteht aus fünf unterschiedlichen Holzarten (Sandelholz, Palme, Mango,…), damit beim Verbrennen kein Geruch entsteht. 

Überhaupt hat die Zahl fünf als Symbol der Elemente hier eine ständige Bedeutung.

Der älteste Sohn holt von der heiligen Flamme Shivas, die auf einem Balkon oberhalb der Freitreppe seit 3500 Jahren brennt und ständig von Sadhusbewacht wird, mit einem Büschel Gras Feuer, umrundet den Leichnam des Vaters bzw. der Mutter fünfmal und legt anschließend Feuer an den Scheiterhaufen. Dann wird je fünfmal am Kopf und den Füßen angefacht und fünf verschiedene Substanzen (Öl, Sandelholzpulver,…) über dem Feuer ausgegossen. 

Nach eineinhalb Stunden wird der Leichnam gewendet und erneut angefacht, nach drei Stunden ist alles verbrannt bis auf den Brustkorb bei den Männern und die Hüfte bei den Frauen. Diese Reste werden dem heiligen Ganges übergeben (=in den Fluss geworfen – nebenan baden die Pilger…). 

So wird der Körper – als Fahrzeug der Seele nach Beendigung der Inkarnation – den fünf Elementen zurückgegeben: Feuer, Erde und Wasser (als Asche im Fluss), Luft und die Seele steigt auf ins Nirvana. Nachdem die Reste der „heiligen Mutter Ganges“ übergeben wurden, holt der älteste Sohn fünf Tonkrüge mit heiligem Gangeswasser und löscht damit den Scheiterhaufen. 

Den letzten Krug wirft er blind über die Schulter auf das Feuer, der Krug zerbricht und löscht das Feuer, die Verbindung zwischen Familie und freiwerdender Seele ist damit getrennt, die Seele kann aufsteigen. 

Anschließend begeben sich alle Angehörigen ins Wasser um sich selbst zeremoniell zu reinigen und anschliessend die Segnung eines Brahmanen zu empfangen.

Soweit die Theorie.

All das passiert hier gleichzeitig.

Leute tragen Leichname ins Wasser, fachen Feuer an, trauern. Auf den Scheiterhaufen verbrennt das Tuch zuerst, man sieht Schädel und Rippen in den Flammen. Menschen stochern mit Bambus in den Scheiterhaufen herum, andere bringen neues Holz und schichten Haufen auf, ein in weiß gekleideter wirft einen Tonkrug hinter sich und geht ohne sich umzudrehen davon, die Asche spritzt in alle Richtungen. Nebenan legt einer Feuer an einen anderen Scheiterhaufen, zwei Meter weiter steht eine Kuh völlig unbeeindruckt von dem Schauspiel und kaut gelbe Opferblumen, unter einer Treppe werden die Köpfe von weißgekleideten kahlgeschoren, nebenan werden Sandelholz und Tee verkauft, Leute sitzen auf der Treppe und trinken aus kleinen Bechern, unterhalten sich. Im Wasser waschen Helfer die Asche mit Goldgräberschalen auf der Suche nach Ringen und anderen Schmuckstücken aus. 

Alles open air.

Madness.

Der „Manager“ führt mich mitten durch die Massen. Allein, zumal als Ausländer, wäre ich niemals hier hineingegangen. Ich werde auf eine der oberen Plattformen geführt, wo nur Angehörige der oberen Kaste verbrannt werden dürfen (Politiker und „VIPs“). 

Hier brennen drei Scheiterhaufen gleichzeitig, wir drücken uns zwischen Feuer und den Trauernden vorbei, die Hitze der Feuer ist immens, ich bleibe dicht hinter meinem Führer, damit nicht der Eindruck entsteht, ich streune hier einfach so umher.

Anschließend werde ich ins Hospiz geführt. Es ist das rußgeschwärzte Gebäude und gehört zu den Einrichtungen von Mutter Theresa. Innen drin sogenannte „Nurses“ (der Begriff „Krankenschwester“ greift hier nicht wirklich), Sterbende, die auf dem Boden liegen und ein Sadhu, der mich dafür, dass ich eine halbe Verbrennung für einen Armen spende (ca. 30 Euro, nach hiesigen Werten ein Vermögen), weiht und ein Mantra für mich murmelt.

Ich bin völlig platt.

Die Tempel hinter dem Ghat mit den darin lebenden Sadhus schau ich mir nicht mehr an, obwohl man von diesen Leuten wirklich fantastische Geschichten hört, Heilung tödlicher Kobrabisse und so. 

Völlig neben mir wanke ich durch die Souk-ähnlichen Altstadtgassen zurück in Richtung meines Guesthouse. 

Ich verspüre den Drang nach Luft und Wasser. Ich muss trinken und duschen.

Unterwegs kaufe ich noch Bananen, die ich bis zum Guesthouse zur Hälfte wieder hergeschenkt habe. Wenn die Bettler Bananen annehmen und sofort essen, weisst Du dass sies WIRKLICH brauchen.

Die Obsthaendlerin meines Vertrauens...
...und ein kleiner, froehlicher Inder.
Diese direkte Auseinandersetzung mit dem Tod ist für mich als Europäer völlig ungewohnt und vermutlich deshalb bin ich so durch den Wind. Dieser Ort verfügt über eine immense Energie. 

Noch vor drei Wochen bin ich mit dem Motorrad durch den „Swabian Summer“ gefegt und dabei mit hundertachtzig auch zweimal am Gedenkkreuz meines Schulfreundes Mark D. auf der B30 vorbeikommen. Was mich einerseits vom Gas gehen ließ und andererseits die Bilder seiner Beerdigung wieder entstaubt hat.

Bei uns ist eine Beerdigung immer etwas extrem Persönliches, obwohl man – skurrilerweise – am Grab selbst nur eine Schippe, einige Sekunden Zeit hat. Hier ist das GANZ anders. Die Verbrennung ist öffentlich und dauert drei Stunden, der Tod – bei „uns“ gern tabuisiert – ist ein völlig natürlicher Bestandteil des Lebenszyklus. Die Seele wird einem Zeremoniell folgend vom Körper und den Verbindungen zu Angehörigen und Freunden getrennt, so dass es „ihr gut geht“ d.h. sie sich einen neuen Körper für die nächste Inkarnation suchen kann. Weinen ist am Ghat nicht erlaubt.

Übrigens sind auch westliche Philosophen wie Nietzsche und Carl Gustav Jung zu der Überzeugung gelangt, dass es eine bzw. mehrere Reinkarnationen der menschlichen Seele geben muss. Weiss gar nicht warum sich die christliche Kirche so dagegen sträubt...

Ich hole mir einen halben Liter Mangosaft, setze mich im Sonnenuntergang auf die Dachterrasse und schaue vier Daecher weiter achtzehn Jungendlichen zu, die mit einem Ball an einer Schnur Rooftop-Cricket spielen. 

Jeder Homerun, also wenn der Ball vom Dach geschlagen wird, wird mit frenetischem Jubel bedacht.

Tod und Leben. 

So nah beieinander an diesem Tag.

Alles eins. 

Varanasi.



Stay tuned.








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