Donnerstag, 1. November 2012

Kapitel 8 - Manfred, Yaks!


Wir sind unterwegs im Land der Sherpa. 

Eine Idee, die ich schon lange mit mir trage - meinen ersten Nepalführer habe ich vor etwa zehn Jahren geschenkt bekommen - damals war das aber alles noch zu weit weg, hat noch keinen Sinn gemacht, der Kontext hat gefehlt. Heute passts.

Unser Reiseführer betitelt Lukla als the „the world most alarming airstrip“ und den objektiv gefährlichsten Teil sämtlicher hier verlaufender Trekkingtouren. Die Taxifahrt nachts um halb fünf durchs ungeteerte und unbeleuchtete Kathmandu inklusive Verkehrskontrolle und Bakschisch wär schon n Kapitel an sich wert. Anyway, der Taxifahrer ist recht unfreundlich als er uns ablädt, das heisst ich habe mit dem Preis richtig verhandelt.
 
Unser Flug ist der erste bei Sonnenaufgang in einem „echten“ Flugzeug. Mit fünfzehn Sitzplätzen und Sicht auf die Piloten. Die Landebahn in Lukla ist in Länge uns Gefälle vergleichbar mit der Stuttgart Fressgasse – Genau, das Ding hat Gefälle!
 

Der Lande-„anflug“ hat was vom Cannstatter Wasen – wir fallen vom Himmel. Das ist wie in den Überschlagfahrgeschäften, wo Du den Boden auf Dich zukommen siehst, plötzlich isser wieder weg, dann schaukelt der Flieger wie ne Dschunke auf hoher See und der Pilot parkt direkt oben am Ende „mit der Handbremse“ ein. Ebenfalls wie aufm Wasen: Viel zu schnell vorbei.

Da wir uns entschieden haben keinen Guide zu brauchen, müssen wir in Lukla einen „Porter“ „of the street hiren“. Ich entscheide mich für einen jungen Kerl aus einer Gruppe von Portern, die mit ihren Doko-Körben (die werdet Ihr auf den Bildern unten noch sehen) vor uns herlaufen. Er sieht fit aus, hat ne gute Jacke und gute Schuhe an, das ist schonmal das erste. Dass er genau zwei Worte Englisch spricht („ok“ und „no“), macht den Anfang unserer „Freundschaft“ etwas schwerer und die kommende Woche stellenweise herausfordernd, aber auch spannend. Son bissl entdeckermäßig. Ob wir seinen Namen richtig verstanden haben wage ich zu bezweifeln, aber mit „Raul Klung“ liegen wir zimelich gut und wir könnens uns merken (Eselsbrücke Fußballer plus lustiges Geräusch…)
 
Wir laufen am ersten Tag direkt bis Namche Bazar. Das sind sieben Stunden Wandern und insgesamt 800 hm. Wie sich später herausstellt sind das zwei Tagesetappen, aber bis um eins Wandern und den Rest Tages rumsitzen erscheint uns nicht als Option. Die fehlende Akklimatisierung wird sich zwei Tage später rächen. Das wissen wir jedoch noch nicht, denn das Biest kommt als Kopfweh über Nacht.
 
Der Weg von Lukla nach Namche Bazar ist sehr malerisch – da dies gleichzeitig Hauptverkehrsader ist, treffen wir ständig auf andere Trekker, Porter, Esel- und Yakkarawanen, kommen durch Dörfer mit Lodges und an Sherparastplätzen vorbei. Das sind Wegverbreiterungen mit Steinstufen an denen die Porter ihre Körbe absetzen und ein Schwätzchen halten können. So ähnlich wie Bruchsal an der A5, nur dass hier jeder jeden kennt. 

Vor uns zwei Bierträger. Wennde so auf Schützen gehst findeste a) 100 neue Freunde oder b) wirst ausgeraubt.
Spass beiseite. Was die Leute hier leisten ist für uns Europäer unglaublich. Die jüngsten die wir gesehen haben 13 bis 14, teilweise mit 6 m langen Bauhölzern, ca. 80 - 100 (!) kg...
 
 
Unterwegs führen immer wieder Hängebrücken von der einen Talseite an die andere und zurück, wir hänge traditionell ein paar Gebetsfahnen dazu, das besänftigt die Geister. Genauso wie das Klingeln der Gebetsmühlen, die man im Vorbeigehen läutet.


 


Namche ist der letzte größere Ort vor dem Everestgebiet, ein irgendwie einzigartiger Flecken, an den Hang eines Berges gequetscht. Am folgenden Rasttag machen wir einen Akklimatisierungsdaytrip auf eine nahegelegene Anhöhe mit Ausblick auf den „Solokhumbu“, das ist das Tal, an dessen Ende die berühmten 8000er stehen. 

Und wenn mans nicht wüsste, der Everest ist der undramatischste von allen. Allein die Schneefahne an seinem Gipfel verrät ihn. 

In der Nähe stolpern wir über das „Everest View Hotel“ und dort auf die mit Trekkern überfüllte Sonnenterrasse, wo wir bei einer Kanne Tee mit drei lustigen Engländern ins Gespräch kommen.
 

Die zweite Nacht in Namche schlafen wir schon mit entschieden weniger Kopfweh, also geht’s am darauffolgenden weiter nach Tengboche. Diese Etappe stellt sich als ganz schöner Gewaltakt heraus, denn von 3400 m geht’s erst runter auf 3200m, um auf der Gegenseite auf knapp 4000m anzusteigen. 

Tengboche selbst – Du denkst Du bist irgendwo in Tibet oder der Mongolei. Ein Kloster und original fünf Häuser. Das was auf dem Bild zu sehen ist der ganze Ort. Es gibt immerhin eine Bakery, und die machen – ACHTUNG! – Apfelkuchen und Illy-Kaffee. Hinten im Bild wieder - wie der Japaner sagt - Everestoooh und Lhotseooooo!
 

Völlig abstrus, bei genauerem Nachdenken DIE Marktlücke. Immer hin ist dies die erste Siedlung, wenn die reichen Europäer nach Wochen im Off wieder in die Zivilisation zurückkehren.
 
Die Szenerie hier oben ist magisch. Die Luft unglaublich rein, die Vegetation kaum mehr vorhanden das Tal liegt vor uns, und Everest und Lhotse immer noch so kein wie gestern. Bis zum Everest Basecamp läuft man ab hier nochmal vier Tage geradeaus. So langsam bekomme ich eine Ahnung, was für ein irrsinniger Aufwand hinter so einer Besteigung steckt. Und der gute Mr. Hillary ist ja nicht nach Lukla geflogen, sondern einen Monat mit Eseln und Yaks hier hoch gelatscht. Das Basecamp liegt dann auf 5600m, das heisst man steht immer noch vor einer 3200m hohen Wand… Wie viel Zeit, wie viel Planung und wie viel Geld – heute immer noch - dahinter stehen müssen. Ca. 100.000 Euro für eine Chance ohne Garantie. Andere kaufen sich davon ein Auto oder ne Wohnung. Da musst schon irgendwie besessen sein.
 
Auf dem Rückweg – Maike macht grad Mittagsschlaf – biege ich etwas früher rechts ab und stehe plötzlich hinter dem Klosterhauptbau. An Gebetsmühlen, die das gesamte Gebäude umgeben, vorbei, gehe ich durch eine halboffene Tür und stehe plötzlich im Innenhof. Es stellt sich heraus, dass hier gleich die Mess- Gottesd- Zeremonie beginnt. Zwei Mönchsschüler gucken im ersten Stock aus dem Fenster und blasen in große Muscheln, die man im ganzen Dorf hört.
 
Von der Messe hab ich aus Respekt vor den Mönchen keine Fotos gemacht – bis auf den einen, der an der Seite sitzen musste, weil er beim Mantramurmeln immer aus dem Takt kommt. Diese Chance nutze ich und mache getarnt aus dem Schneidersitz superunauffällig ein Bild.
 

Wer die Chance hat sowas zu erleben: Machen! Eine Mischung aus Mantragemurmel, Orkmusik und durchchoreografierter Zeremonie im Angesicht einer riesigen goldenen Buddhastatue, alles recht düster, der Raum bunt mit Kerzen und die Mönche in ihren roten Winterroben.
 
Die Höhenkrankheit (ab jetzt nenn ich sie so, denn zum Kopfweh kommt mittlerweile noch nächtlicher Brechreiz) ist ein Biest. Am nächsten Morgen mag ich nicht mehr. Die Raumtemperatur beträgt morgens -1°C, denn ein Sherpa heizt genauso  viel wie ein Indianer weint. Als ich unserem Raul Klung bedeute, dass mir die Birne platzt verschwindet er und bringt nach zwei Minuten einen Kollegen mit, der uns beim Übersetzen hilft.  Übrigens eine hervorragende Taktik – jedes Mal wenn es etwas komplizierteres als „Stop“ oder „Go“ zu vermitteln gibt, machen wir das mittags oder abends mit Hilfe von Tischnachbarn, Lodgebesitzern, Köchen oder ähnlichen Gesellen. Klappt echt super. Unterwegs sehen wir dann auch, dass warmes Wasser schlecht für die Haut ist.
 
Im Vergleich dazu, wie wir hier ins Bett gehen:


Wir entscheiden uns für eine andere Route, deren Tagesetappe nach Khumjung führt. Immerhin 200m niedriger und Ort der berühmten „Hillary School“, die selbiger zu Lebzeiten gründete. Der Gute hat sich ja nach seinem Erfolg sein Leben lang für das Volk der Sherpa eingesetzt.
Ein Jammer dass wir ab jetzt schon wieder auf dem Rückweg sind. 

Anbei die Aussicht aus unserem Schlafzimmer aufs Kloster (für alle die evtl. mal ne Postkarte bekommen…).
 

Überhaupt die Sherpa. Ich habe selten ein so fröhliches, ehrliches und friedliches Volk besucht. 
Die Sherpa sind Buddhisten und der Buddha hat ja unter anderem gesagt, wer andere betrügt, der betrügt sich selbst. Recht hat er. Ich brauche jedoch zwei Tage, bis ich meine Rolle aus „Herrenmensch“ (Tschuldigung) annehmen kann und versuche entsprechend, ein guter „Sahib“ zu sein. Unser Porter darf Pausen machen wann er möchte und wir bezahlen ihm Unterkunft und Essen sowie die Rasttage.
 
Die Route über Khumjung ändere ich dann adhoc doch noch auf Namche, da das Kopfweh bei 3500 Metern schlagartig zurückkehrt. Eine Entscheidung, die sich als goldrichtig herausstellen soll. Maike hatte die Idee, früher nach Lukla zurückzukehren, um zu versuchen einen früheren Flug zu erwischen.
 
Als wir abends in Namche einchecken erwischen den Chef persönlich am Tresen und als ich ihm unseren Raul Klung vorstelle und erkläre dass wir alle Kosten übernehmen, kommen wir ins Gepräch. Stellt sich raus, dass sein Schwiegervater in Lukla der Oberboss unserer Fluggesellschaft sei. Fünf Minuten und ein Telefonat später haben wir ne Zusage für zwei Tage früher. Und es funktioniert – wir bekommen von dessen Sohn einen Guide zugeteilt, der uns am Flughafen an sämtlichen Warteschlangen (Airport-Tax, Check-In, Gepäckabgabe, Checked-baggage-check) vorbei eine wirkliche VIP-Behandlung zuteil kommen lässt. Wer schonmal auf einem Buschflughafen war kann sich vorstellen wie viel wert das ist.
 
Vom Betrieb hab ich ein Video gedreht, das krieg auf Grund der langsamen Internetverbindungen aber leider nicht hochgeladen... Schaut einfach mal unter Youtube mit Stichwort "Lukla".
Ist spannend. Echt.

Jedenfalls geht’s ratzfatz – Be- und Entladen von Passagieren und Ladung dauert keine zehn Minuten. Die Piloten steigen gar nicht aus, die kriegen kurz nen Tee durchs Fenster gereicht. Und dann geht’s auch schon abwärts…

Zwei Stunden später sitzen wir in Kathmandu beim zweiten Frühstück auf der Dachterrasse. Da mir bis heute nicht klar ist, warum so viele Menschen ihr Essen ins Facebook posten, unterlasse ich das auch hier. Vom Frühstückspanorama gibt’s auch kein Bild.
 
Dafür abends bei Vollmond von derselben Location, denn wir haben gerade Stromausfall. Hach, mein Kabul. Du bist so romantisch;-)
 
 

Ich schaue grad auf die Wetterapp auf meinem Desktop - da steht. Drei. Grad. Regen.
Echt wahr? 
Brrr.
Wieviel wir hier haben will ich niemand unter die Nase reiben wer will kann ja selbst kurz mal schauen. ;)


Was war noch? Ah genau, die Yak-Rallye.
 
Die Yaks sind tolle Tiere. Wenn Du denen in die Augen siehst Du genau, dass sie Dich sehen. Stell Dir ne Kuh vor, die regelmäßig meditiert, so ein Blick in etwa. Genauso friedliebend wie die Sherpa. Man sagt ja, in Nepal mischen sich die Götter unter die Menschen, und glaubt mir, da ist was dran.
 
So grüßt der Nepalese ja nicht mit „Grüß Gott“ oder „Grüß Buddha“, sondern mit „Ich grüße den Gott in Dir.“
 
Unglaublich, was das ausmacht. Ehrlich.
 
Aber ich schweife ab. Beim Abstieg von Namche nach Lukla haben wir zehn unbeladene Yaks und einen Hirten hinter uns, der zwei Tage vor Medeschluss noch zum Mitarbeiter des Monats werden möchte. Hinter uns ein Geschrei, Gepfeife und Gebimmel von Yakglocken. Da die Wege hier recht staubig sind, versucht natürlich jeder Träger, vor den Yaks zu bleiben, was bei deren Geschwindigkeit bergab eine gewisse Konzentration im Laufschritt erfordert. Das Spiel geht genau so lange gut, bis vor uns eine HERDE Gruppe europäischer Trekker im Alpenwandertempo auftaucht. Merke: Du musst nicht der schnellste sein, Du darfst nur nicht der langsamste sein.
 


Unser Raulklung zersiebt die Mannschaft im Laufschritt, und als die merken was hier grad abgeht kommt echt Stimmung in die Sache. Neben mir ein Mann mittleren Alters in voller Vaude-Mammut-Montur.
 
Sie von hinten: „Manfred! Yaks“
 
Er neben mir: „Jahjah, ich geh ja schon aus dem Weg.“
 
Loriot hätte seine Freude daran gehabt.




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