Es ist Mittag, ich sitze im Zug und schaue zum
Fenster hinaus. Draußen zieht die Tiefebene des Ganges an mir vorbei.
Felder. Felder.
Ein kleines
Dorf. Ein Bauer mit einem einzelnen Rind. Ein einsames Fahrrad am Feldrand, eine
einsame Bäuerin im Reisfeld.
Felder. Felder. Seit Stunden.
Die Gedanken treiben angesichts dieser
fruchtbaren Monotonie. Keine Mähdrescher. Kein Traktor. Alles von Hand.
Felder. Seit Stunden.
Man sagt, das Hirn wird dann am kreativsten,
wenn die äußeren Einflüsse wegfallen.
Abends im Bett, wenn das Licht aus ist. Am
stillen Örtchen. In der Meditation. Bei Feldern. Feldern.
Monotonie.
…
Irgendwo in den Tiefen meines Hirns finden zwei
Synapsen zueinander, die sich schon sehr lange nicht mehr begegnet sind.
Es gibt diese Momente, da fällt es einem
sprichwörtlich wie Schuppen von den Augen. Ein Bild erscheint und auf einmal
ist alles klar. Als fände man in dem großen Haufen von Puzzleteilen das eine,
das immer schon gefehlt und das man immer schon gesucht hat, damit das Bild einen
Sinn bekommt, vollständig wird.
Ohne sagen zu können, warum gerade jetzt. Das
Bild erscheint einfach, schiebt sich direkt ins Blickfeld, vor meine innere
Linse. Zusammen mit einem Gefühl. Dem Gefühl „Ja, dieses Teil gehört genau hier
hin. Jetzt ergibt alles einen Sinn.“
…
Alleine auf einer Reise, durch ein Land, das
man nicht kennt. Dessen Bewohner, dessen Kultur, dessen Sprache einem fremd
ist. Täglich Neues. Morgens nicht wissen, wo man abends sein wird. Allein mit den
eigenen Gefühlen, fröhlich wie auch traurig.
So etwa muss es den Siedlern und Cowboys in
Amerika ergangen sein, als sie den Westen eroberten. Den Rittern auf ihren
Kreuzzügen, jahrelang in fremden Ländern unterwegs. Die Freiheit, dorthin zu
gehen, wohin es einen treibt.
Ich weiß noch genau, wie ich als Knirps im
Kindergarten an Fasching zum ersten Mal als Ritter allein in die
Gigelbergturnhalle durfte. Mit Plastikschwert, Schild und Axt bewaffnet, mit einem
Helm, der mir viel zu schnell viel zu klein wurde, stellte ich mich dort zum
ersten Mal fremden Rittern, Piraten und Cowboys. Ich erinnere mich sogar an
eine Prinzessin, die dort war (und an die Faszination und die
gleichzeitige Ratlosigkeit, denn was ich mit der hätte anfangen sollen, das war
mir damals ein Rätsel).
Das war ein echtes Abenteuer, so als Knirps.
Es gibt sogar ein Foto davon, wie ich als
Ritter auszog, die Welt zu erkunden.
Später bin ich - zuerst mit Pfeil und Bogen,
dann mit einer selbstgebastelten Laserpistole - durch den großen Wald
gestreift, der am Ende unserer Straße beginnt. Nachmittag für Nachmittag.
Die Gedanken treiben weiter. Bilder kommen und
gehen.
Immer noch Felder.
Ich denke an das Computerspiel „World ofWarcraft“. Ich selbst habe
es nie gespielt, nur ein paar Mal zugeschaut. Für alle denen World of Warcraft kein
Begriff ist – World ofWarcraft ist das erfolgreichste Computerspiel der Welt.
Man hat eine Spielfigur, also ein „Alter Ego“, mit der man durch eine virtuelle
Welt laufen kann. Man kämpft gegen Monster, verbündet sich mit anderen Spielern,
erbeutet Schätze, kauft Ausrüstung. Im Verlauf dieses Spieles wird die eigene
Figur stärker, lernt neue Kampftechniken, Tricks und Zaubersprüche, kauft neue
Waffen, und so weiter.
Man beginnt also, grob gesagt, als Kind mit
einem Stöckchen und – nach unzähligen Abenteuern, Kämpfen, Labyrinthen und
Spielstunden – endet als mächtiger Krieger mit magischen Amuletten, einem
Schwert, dass Blitze schleudert, auf einem Streitroß, dass fliegen kann und
Feuer speit. So in der Art jedenfalls.
Es gibt viele Videospiele dieser Art. Zelda,
Final Fantasy, und wie sie alle heißen. Warum sind sie so eigentlich so
unglaublich erfolgreich? Millionen Menschen verbringen unzählige Stunden damit,
ihre virtuellen Figürchen zu „entwickeln“. Die Idee hinter dem Spiel liegt
nicht im Kämpfen gegen Monster und Zombies, sondern in der Entwicklung der
(hier: virtuellen) Persönlichkeit durch das Meistern verschiedener Aufgaben und
Herausforderungen..
Ja. Das ist es. Das ist das Puzzleteil.
Ich reise allein durch ein mir fremdes Land. Warum
eigentlich? Wozu? Was tue ich hier eigentlich, allein, am anderen Ende der Welt?
Man könnte sagen, ich „spiele“ mein ganz
privates Abenteuerspiel. Ohne Zauberschwert, ohne fliegendes Roß, ohne
Pausenknopf. Mit nur einem Leben. Meinem Leben.
Ich habe meine Kindheitsträume nie vergessen.
Der kleine Ritter aus der Gigelberghalle, der
auszog, die Welt zu erobern.
29 Jahre später.
Stay tuned.
Stay tuned.
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