Sonntag, 9. Dezember 2012

Kapitel 16 – Delhi



So schlimm wie alle immmer sagen ist Delhi gar nicht.

Stell Dir den Cannstatter Wasen vor. An einem Samstag nachmittag. Die Sonne scheint, dreissig Grad, und heute abend spielt der VFB zu Hause. So in etwa.

Allerdings gibt’s in Delhi keine Musik, Riesenräder und keine betrunkenen, sich in den Armen liegenden Abiturienten und  Fußballfans. Dafür Tuktuks, Ruß und Bettler.

Der für mich auffälligste Unterschied zu den bisherigen indischen Städten sind tatsächlich die Bettler. Es gibt hier mehr als anderswo, darunter wirklich brutal verkrüppelte, anscheinend oft mit Polio (wenn ich das sehe weiß ich wozu ich mich impfen lasse). Betteln scheint hier sowas wieein eigener Wirtschaftszweig zu sein.

Ich steige am „Chandni Chowk“ aus der Metro. 

Der Chandni Chowk ist die „Prachtstraße“ des verwinkelten Old Delhi (im Übrigen genauso stinkig und verrußt wie alle anderen indischen Straßen), und da sitzen sie, aufgereiht wie an einer unsichtbaren Perlenkette. Hauptsächlich Krüppel mit schlechten oder uralten Beinprothesen oder Krücken (wenn überhaupt), wie wir sie nur von Bildern kennen. Die Bilder sind nicht gefaket, und nicht nur hier. An der Moschee, am Roten Fort, am Bahnhof, auf Gehsteigen (wenn vorhanden), man findet sie überall.

Nun bin ich ja schon eine Weile in Indien unterwegs und habe dabei Krüppel gesehen, die durchaus einer Betätigung nachgehen, außerdem weiß ich von meinem indischen Bekannten Sumit aus Darjeeling, dass ein Bettler in Delhi an prominenter Position (Zitat) „bis vierzig Prozent mehr verdient als ein einfacher Shopangestellter“. Das führt laut Sumit unter anderem dazu, dass insbesondere Kinder eher zum Betteln als in die Schule geschickt werden, was man nicht unterstützen solle. Sagt der Inder selbst.

Kaum bin ich aus der Metro raus, hängt auch schon eins, dann fünf Bettelkinder an mir. Was sie von mir wollen ist klar, dass sie nix kriegen, (mir) ebenfalls. Schleppern, Rikschafahrern und Bettlern kannst Du nicht entkommen, sie setzen auf Dein Mitleid bzw. auf Deinen Fluchtreflex. 

Also locker bleiben und im Gedrängel auf den Geldbeutel achten, damit der nicht bei einem Rempler „verloren“ geht. „Namaste, Chappati, Nugulu, Rupeees, Yesyesyes“.

Ein Mann hat am Rand der vorbeiströmenden Massen vor sich eine Glaswaage auf einer Decke ausgebreitet, wie wir sie aus dem Badezimmer kennen. Du kannst Dich bei ihm wiegen lassen. Sollt ich eigentlich in Anspruch nehmen, allein um seine Idee zu belohnen. Wenn der morgen da ist, frag ich mal was er will. In Indien ist die Ich-AG Alltag. Mehr als in Deutschland.

Wie übrigens auch Tuktuks, die mit CNG, also mit Gas fahren. In Deutschland immer noch nicht richtig etabliert, in einem – Entschuldigung – Entwicklungslands längst Alltag. Da schau her.

Anbei einige Schnappschüsse aus dem Durcheinander. Bettler fotografier ich nicht. Genauso wie Prothesenverkäufer… ;)

Anbei ein Schnappschuesse...


Markttag? Hier ist JEDEN Tag Markttag!

Ueberall.
Das Grabmal von Ghandi bzw. wo er verbrannt wurde. Der Inder sagt uebrigens Ghandiji. Es ist wirklich erstaunlich wieviel dieser Mensch in seinem Leben im Knast war....

New Delhi Railway Station. Ein Video waer besser gewesen... ;)

Da sind sie wieder mit ihren dreitausend Taschen und Koffern...
Szenenwechsel:

Fantastisch! Maike besucht mich für vier Tage in Delhi. Hurra! Ich buche uns für diese Zeit eine wunderbare Suite in einem schönen Hotel im Kolonialstil in der Nähe des Hauptbahnhofs.

Wir essen nachts bei Stromausfall Eiscreme auf der Dachterrasse, ein Viertel weiter wird ein Feuerwerk abgebrannt, was sich durch den nächtlichen Dunst (lies: Smog) leider nur erahnen lässt.

Ich gehe mit Maike (groß, blond, hübsch) durch Delhi spazieren – und stelle fest, genauso gut könnte ich mit einem weißen Tiger Gassi gehen. Ständig sind Grüppchen Inder hinter uns her, die ihre Handys zücken, ständig kommen Männer wie Frauen, die um ein gemeinsames Foto bitten.

Und wenn ich sie dann doch mal für zehn Minuten alleine lasse, muss ich anschließend nur nach der größten Menschentraube mit einem lila Schal in der Mitte schauen, wo die Inder für ein gemeinsames Foto Schlange stehen, bis der „husband“ aka „lucky man“ betont grimmig die Szene entert und das Spektakel viel zu früh beendet. ;)

N bissl Sightseeing hamwer ooch jemacht. Die alde Burg oder sowat.
Und wir waren nochmal am Taj Mahal.
Geil, oder? *lol*
Ansonsten genießen wir die Stadt. Je stressiger die Stadt, desto schöner muß man es sich machen.

Delhi bei Nacht. Bzw. was davon uebrig bleibt.
Tatsächlich hatte ich am Anfang mit meinem Wohlstand anscheinend mehr Probleme als der Inder. Nach hiesigen Wertvorstellungen bin ich halt Mitglied einer höheren Kaste. Hab in meinem letzten Leben wohl viel gutes Karma gesammelt

Das scheint mir insgesamt das Dogma zu sein, dass die indische Gesellschaft insgesamt so vergleichsweise friedlich hält, von den immerschwelenden Religions- und Identitätskonflikten wie Pakistan, Kaschmir, Nordostprovinzen, Sri Lanka etc. einmal abgesehen. 

Wie tief der Graben zu Pakistan ist, kann ich nur erahnen, wenn ich in die Tageszeitungen schaue, die in Sonderausgaben über den letzten Terroristen (Pakistaner) berichten, der vor ein paar Tagen in Indien gehängt wurde. Zur Entspannung der internationalen Beziehungen… Halt, ich bin ja nicht in Deutschland… 

Und schweife schon wieder ab. :D

Nun, die Entspanntheit der Inder bezüglich sozialer Unterschiede sorgt mit der Zeit dafür, dass mir unser westlicher Wohlstand innerlich immer weniger „peinlich“wird. Ich muss mich nicht dafür rechtfertigen, dass ich Geld habe, ich fange an zu genießen und bin dankbar dafür, dass ich so angenehm leben und erleben kann. Andererseits stehen in Deutschland auch nicht vier Kellner rum, wo einer reicht, niemand macht nachmittags ein Nickerchen unterm Baum oder öffnet seinen Laden von elf bis vier (sic!). 

Meine Antwort, wenn mal wieder einer Germany als reiches Land lobt: „Yes, Germany is a rich country. But it is really cold right now and we work a lot. So we deserve it.”

Stell Dir vor, man hält Dir in jedem Laden die Tür auf, trägt Deine Koffer, mit 24h-Roomservice gibt’s frisches Mango-Lassi aufs Zimmer und wenn Du willst, dann nimmst Du Dir einfach einen ganzen Tag ein Taxi mit Fahrer und fährst nochmal nach Agra, weil Dir das Taj Mahal eigentlich ganz gut gefallen hat.

Klingt gut? Thought so.

Also warum eigentlich nicht? 

Das Leben will genossen werden.





1 Kommentar:

  1. Das hier hab ich grad nebenher gefunden. Schoene Beschreibung:
    http://www.spiegel.de/karriere/ausland/auswanderer-in-bangladesch-englischlehrer-erzaehlt-vom-leben-in-dhaka-a-869587.html

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