So schlimm wie alle immmer sagen ist Delhi gar
nicht.
Stell Dir den Cannstatter Wasen vor. An einem
Samstag nachmittag. Die Sonne scheint, dreissig Grad, und heute abend spielt der
VFB zu Hause. So in etwa.
Allerdings gibt’s in Delhi keine Musik, Riesenräder
und keine betrunkenen, sich in den Armen liegenden Abiturienten und Fußballfans. Dafür Tuktuks, Ruß und Bettler.
Der für mich auffälligste Unterschied zu den bisherigen
indischen Städten sind tatsächlich die Bettler. Es gibt hier mehr als anderswo,
darunter wirklich brutal verkrüppelte, anscheinend oft mit Polio (wenn ich das
sehe weiß ich wozu ich mich impfen lasse). Betteln scheint hier sowas wieein eigener
Wirtschaftszweig zu sein.
Ich steige am „Chandni Chowk“ aus der Metro.
Der Chandni Chowk ist die „Prachtstraße“ des
verwinkelten Old Delhi (im Übrigen genauso stinkig und verrußt wie alle anderen
indischen Straßen), und da sitzen sie, aufgereiht wie an einer unsichtbaren
Perlenkette. Hauptsächlich Krüppel mit schlechten oder uralten Beinprothesen
oder Krücken (wenn überhaupt), wie wir sie nur von Bildern kennen. Die Bilder
sind nicht gefaket, und nicht nur hier. An der Moschee, am Roten Fort, am
Bahnhof, auf Gehsteigen (wenn vorhanden), man findet sie überall.
Nun bin ich ja schon eine Weile in Indien unterwegs
und habe dabei Krüppel gesehen, die durchaus einer Betätigung nachgehen, außerdem
weiß ich von meinem indischen Bekannten Sumit aus Darjeeling, dass ein Bettler
in Delhi an prominenter Position (Zitat) „bis vierzig Prozent mehr verdient als
ein einfacher Shopangestellter“. Das führt laut Sumit unter anderem dazu, dass insbesondere
Kinder eher zum Betteln als in die Schule geschickt werden, was man nicht
unterstützen solle. Sagt der Inder selbst.
Kaum bin ich aus der Metro raus, hängt auch
schon eins, dann fünf Bettelkinder an mir. Was sie von mir wollen ist klar,
dass sie nix kriegen, (mir) ebenfalls. Schleppern, Rikschafahrern und Bettlern
kannst Du nicht entkommen, sie setzen auf Dein Mitleid bzw. auf Deinen
Fluchtreflex.
Also locker bleiben und im Gedrängel auf den Geldbeutel achten,
damit der nicht bei einem Rempler „verloren“ geht. „Namaste, Chappati, Nugulu,
Rupeees, Yesyesyes“.
Ein Mann hat am Rand der vorbeiströmenden
Massen vor sich eine Glaswaage auf einer Decke ausgebreitet, wie wir sie aus
dem Badezimmer kennen. Du kannst Dich bei ihm wiegen lassen. Sollt ich
eigentlich in Anspruch nehmen, allein um seine Idee zu belohnen. Wenn der
morgen da ist, frag ich mal was er will. In Indien ist die Ich-AG Alltag. Mehr
als in Deutschland.
Wie übrigens auch Tuktuks, die mit CNG, also
mit Gas fahren. In Deutschland immer noch nicht richtig etabliert, in einem –
Entschuldigung – Entwicklungslands längst Alltag. Da schau her.
Anbei einige Schnappschüsse aus dem
Durcheinander. Bettler fotografier ich nicht. Genauso wie Prothesenverkäufer…
;)
Anbei ein Schnappschuesse...
Markttag? Hier ist JEDEN Tag Markttag! |
Ueberall. |
Das Grabmal von Ghandi bzw. wo er verbrannt wurde. Der Inder sagt uebrigens Ghandiji. Es ist wirklich erstaunlich wieviel dieser Mensch in seinem Leben im Knast war.... |
New Delhi Railway Station. Ein Video waer besser gewesen... ;) |
Da sind sie wieder mit ihren dreitausend Taschen und Koffern... |
Szenenwechsel:
Fantastisch! Maike besucht mich für vier Tage
in Delhi. Hurra! Ich buche uns für diese Zeit eine wunderbare Suite in einem
schönen Hotel im Kolonialstil in der Nähe des Hauptbahnhofs.
Wir essen nachts bei Stromausfall Eiscreme auf
der Dachterrasse, ein Viertel weiter wird ein Feuerwerk abgebrannt, was sich
durch den nächtlichen Dunst (lies: Smog) leider nur erahnen lässt.
Ich gehe mit Maike (groß, blond, hübsch) durch
Delhi spazieren – und stelle fest, genauso gut könnte ich mit einem weißen
Tiger Gassi gehen. Ständig sind Grüppchen Inder hinter uns her, die ihre Handys
zücken, ständig kommen Männer wie Frauen, die um ein gemeinsames Foto bitten.
Und wenn ich sie dann doch mal für zehn Minuten
alleine lasse, muss ich anschließend nur nach der größten Menschentraube mit
einem lila Schal in der Mitte schauen, wo die Inder für ein gemeinsames Foto
Schlange stehen, bis der „husband“ aka „lucky man“ betont grimmig die Szene
entert und das Spektakel viel zu früh beendet. ;)
N bissl Sightseeing hamwer ooch jemacht. Die alde Burg oder sowat. |
Und wir waren nochmal am Taj Mahal. |
Geil, oder? *lol* |
Ansonsten genießen wir die Stadt. Je
stressiger die Stadt, desto schöner muß man es sich machen.
Delhi bei Nacht. Bzw. was davon uebrig bleibt. |
Tatsächlich hatte ich am Anfang mit meinem Wohlstand
anscheinend mehr Probleme als der Inder. Nach hiesigen Wertvorstellungen bin
ich halt Mitglied einer höheren Kaste. Hab in meinem letzten Leben wohl viel
gutes Karma gesammelt
Das scheint mir insgesamt das Dogma zu sein,
dass die indische Gesellschaft insgesamt so vergleichsweise friedlich hält, von
den immerschwelenden Religions- und Identitätskonflikten wie Pakistan,
Kaschmir, Nordostprovinzen, Sri Lanka etc. einmal abgesehen.
Wie tief der
Graben zu Pakistan ist, kann ich nur erahnen, wenn ich in die Tageszeitungen
schaue, die in Sonderausgaben über den letzten Terroristen (Pakistaner)
berichten, der vor ein paar Tagen in Indien gehängt wurde. Zur Entspannung der
internationalen Beziehungen… Halt, ich bin ja nicht in Deutschland…
Und schweife schon wieder ab. :D
Nun, die Entspanntheit der Inder bezüglich
sozialer Unterschiede sorgt mit der Zeit dafür, dass mir unser westlicher
Wohlstand innerlich immer weniger „peinlich“wird. Ich muss mich nicht dafür
rechtfertigen, dass ich Geld habe, ich fange an zu genießen und bin dankbar
dafür, dass ich so angenehm leben und erleben kann. Andererseits stehen in
Deutschland auch nicht vier Kellner rum, wo einer reicht, niemand macht nachmittags
ein Nickerchen unterm Baum oder öffnet seinen Laden von elf bis vier (sic!).
Meine Antwort, wenn mal wieder einer Germany als reiches Land lobt: „Yes, Germany is a
rich country. But it is really cold right now and we work a lot. So we deserve it.”
Stell Dir vor, man hält Dir in jedem Laden die
Tür auf, trägt Deine Koffer, mit 24h-Roomservice gibt’s frisches Mango-Lassi
aufs Zimmer und wenn Du willst, dann nimmst Du Dir einfach einen ganzen Tag ein
Taxi mit Fahrer und fährst nochmal nach Agra, weil Dir das Taj Mahal eigentlich
ganz gut gefallen hat.
Klingt gut? Thought so.
Also warum eigentlich nicht?
Das Leben will genossen werden.
Das hier hab ich grad nebenher gefunden. Schoene Beschreibung:
AntwortenLöschenhttp://www.spiegel.de/karriere/ausland/auswanderer-in-bangladesch-englischlehrer-erzaehlt-vom-leben-in-dhaka-a-869587.html