Freitag, 5. Oktober 2012

Kapitel 5 - Setenta!




Wow. Er hat echt zugesagt. Grad kam die SMS, dass er den Flug für Montag nach Bilbao gebucht hat.

Mein Dad kommt mich besuchen.

An seinem 70-ten Geburtstag.

Er wird kommende Woche 70. Ein runder Geburtstag, der in der Regel – vor allem in oberschwäbischen Kleinstädten – mit größeren Feierlichkeiten verbunden ist.

Aber wir Ernsts sind schon immer ein reiselustiges Völkchen. Unter anderem deshalb hatte mein Dad schon lange vor, an seinem 70er in Tibet Trekking zu machen anstatt die Stadthalle zu mieten.

Dann kamen diesen Sommer diverse Krankenhaus- und Rehaaufenthalte dazwischen.
Der Plan B sah dann so aus, am Lago Maggiore bei meinem Onkel zu feiern. Nachdem das aber spontan auch nix wird, bin ich grad ganz schön in der Bredouille.
Mein Bruder in Mexiko, ich hundert km vor La Coruna und mein Dad an seinem 70er allein zu Hause. Na toll.

Also rufe ich ihn an und schlage ihm vor, dass er einfach hierher runterfliegt und wir zusammen eine Woche durch Frankreich zurückfahren. 7 Tage für 70 Jahre.

Dass ich ihn in Bilbao am Flughafen mit zwei Stunden Verspätung abhole liegt nicht daran, dass ich unpünktlich geworden wäre. Seine letzte SMS war „Keilriemen treibt Motorlüfter + Lichtmaschine, deshalb leuchtet sofort Ladekontrollampe, wenn Keilriemen reisst. Also auf Lämpchen achten. Gute Fahrt!“ Warum schickt meine Werkstatt eigentlich nicht solche SMS? Oder gibt’s von VW ne App?

Der spanische Pannenhelfer, den ich über meine goldene ADAC-Karte – eigentlich müsste die mittlerweile schwarz mit nem großen roten Blitz drauf sein (das ist so etwa mein elfter Notfall) – organisiert hab, kann kein Englisch.

Mein Problem ab ich in einem spanischen Sätzchen noch aufgeschrieben, danach wird’s dünn. Dafür bringt er mir auf dem Standstreifen der Autobahn Santander-Bilbao bei, wie man werkzeuglos vierhändig im vierten Gang nen Keilriemen aufzieht. Traktorskillz, Baby! I love that car. Die Weinflasche kann ich ihm leider nicht geben, so schnell ist er schon wieder weg.

Was nach Standstreifenreparatur und erneutem Stopp – die Warnweste lass ich jetzt grad mal an – in gerademal zwei Stunden Verzögerung mündet. Am Stadtstrand von Bilbao stößt dann noch Jörg zu uns, der direkt von Frankreich runtergekommen ist.

Jörg hat hier schonmal eineinhalb Jahre gelebt und kennt sich entsprechend aus – entsprechend besuchen wir am nächsten Tag Mundaka, ein schönes Fischerdorf, welches unter anderem die „beste Welle Europas“ beherbergt.

Und wir? Stehen an der Brüstung und sind unentschlossen.

Es ist kalt. Es ist düster. Es regnet. Es sind fünf Leute im Wasser.

Nur fünf Leute.

Wenn wirs jetzt nicht machen, dann nie.

Also los.

Wir ziehen uns auf dem Parkplatz die Neos an und huschen mit den Boards im Regen durch das Dorf wie zwei Jugendliche, die beim Nachbarn heimlich im Garten Äpfel klauen wollen. Direkt hinter der Kirche die Felsentreppe runter und rein in die Wellen.

Die Szenerie ist schon krass. Dunkles Wasser, dunkler Himmel, Regen, Wind und die Wellen spielen Rodeo mit Dir. In der ersten Stunde kassiere ich drei fette Waschgänge, als mich die Wellen unter sich begraben. Aber dann klappt es zunehmend besser und die Laune steigt. Nur das Rauskommen mit der aufs Meer ziehenden Strömung verlangt mir nochmal alles ab. Ich schaffe es auch im zweiten Anlauf nicht an die Treppe und steige dann fünfzig Meter weiter unten über Felsen aus. Uiuiui, das ist hier schon eine andere Liga als am Sandstrand. Exit-Strategie. Merken. Wieder einiges gelernt heute.

An seinem 70-ten wünscht sich mein Dad morgens Guernica, das wir vor allem durch Picasso und Hitler bzw. dessen Legion Condor  kennen. Eigentlich ists aber die Hauptstadt der Basken.
Wer jetzt zuerst da war weiss ich nicht. Peter Jackson, Bilbo oder Liv Tyler? Die Eiche von Guernica sieht jedenfalls aus wie aus dem Herrn der Ringe. Ein wirklich magischer Ort. Ich bin allein. Abgefahren. 
Vielleicht macht die Eiche ja tatsächlich unsterblich. Indizien dafür finde ich nachmittags. Bilbo scheint nicht tot zu sein, sondern hat neben einer Bank auch ein Busunternehmen gegründet; Bilbocash und Bilbobus.




 Wenn wir schon mal da sind gehen wir natürlich in Guggenheim und ziehen danach durch die Stadt. Die Bilder spar ich Euch, das kennt eh jeder bzw. findest im Internet. 
Da in Spanien heute Generalstreik ist, haben alle Kneipen zu, dafür treffen wir die Ranzengarde-Ortsgruppe Nordspanien bei Ihrer neuesten Performance.


Wir sind derweil froh dass wir wenigstens noch einen Cafe con leche bekommen. 

An Essen gehen ist nicht zu denken und so verwöhne ich meinen Dad abends am Strand mit Koshari (siehe Auszugsparty), einem exzellenten „Tabernus“-Rotwein (sorry, KFK! ;) Als Nachtisch gibt’s Mousse au Chocolat mit Creme Brulee – Ein Knaller! (Danke Ines!).

 
Apropos. Finde ich ziemlich cool, dass mein Dad mit 70 campen geht. Ist glaub nicht soo normal, zumal wenns morgens n bissl frischer wird. Aber er lässt es sich nicht nehmen, auf der oberen Etage zu pennen, abends hoch und morgens wieder runterzuklettern.
Am kommenden Tag fahren wir nach einem Frühstück mit Meerblick rüber nach San Sebastian und abends nach Cap Breton zum Sonnenuntergang und Fisch essen. Vom Sonnenuntergang am Meer gucken kann man glaub nie genug kriegen…


Mein Dad wünscht sich die Heimfahrt nach Deutschland durchs Zentralmassiv Frankreichs. Und so gondeln wir quer über französische Landstrassen, auf der Rückbank heute Alan Jackson (links) und Donavon Frankenreither (rechts), die Lena Meyer-Landrut (schreibt man die so?) in die Mitte genommen haben und uns von verlorener und noch nicht geliebter Liebe erzählen. Mittags regnets – hallo Tracy Chapman. Du willst nach Millau? Ich nehm Dich mit. Abendessen heute mit Aussicht an einer alten Kirche allein auf dem Hügel.

 



„Ich würde gern hier über Roziers, Vigne und St. Eminie nach Mende.“ – Ja mei, machmer alles. Ich werfe einen Blick auf die Karte um mein Navi mit der richtigen Route zu füttern. Da steht in großen schwarzen Lettern. Gorges. Du. Tarn.

WHAT! Mein Dad will mit mir durch Frankreichts wohl bekanntestes Klettergebiet fahren. Zum Gucken. Ich werde wohl der erste Kletterer überhaupt sein, der in die Gorges du Tarn fährt – und nicht klettern geht.

Wir übernachten in der Tarn quasi auf der Strasse. Die Campingplätze sind alle zu. Herrje ist das malerisch. Der Fels durchs Fernglas (schluchz!) ein Traum. Löcherkalk, yummy. I’ll be back some day.

Die Antriebswelle hat sich über Nacht in den Kleiderschrank geschlichen. Von der Hinterachse ist Ruhe, dafür scheppert ein Klapperorchester aus dem Kleiderschrank. Ein Mysterium dieses Auto.

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Mittlerweile ist es halb eins morgens und die Strassen sind leer. Die letzten hundert Kilometer von der Schweizer Grenze nach Biberach läuft Portugal the man in Dauerschleife – we will make it through the night. Danke Peps, good to know you. Mein Dad ist auf dem Beifahrersitz in sich zusammengesunken, durch das Beifahrerfenster sehe ich den Bodensee mit seinen Lichtern bei Nacht. Auf der Strasse speigeln sich sic h die Neonletreklamen. Der Bulli rennt wie eh und je, die Antriebswelle klackert dass man denkt man fährt ne Dampfmaschine. Die Reise geht zu Ende.

Ich kann nicht sofort ins Haus. 
Noch nicht. 
Ich habe jetzt zwei ganze Monate in diesem Auto gelebt, gekocht, gezittert, geschwitzt, gewartet, gelacht und …. äh angeschoben.
Ich stehe auf dem Parkplatz, mache das letzte spanische Bier auf und stoße mit ihm an. Treuer Gefährte. Hat sein Versprechen gehalten und mich bis nach Hause gebracht. Dann will ich meinen Teil des Versprechens auch gerne einlösen.

Morgen geht’s in die Werkstatt zur großen Wellnesspackung. Gute Nacht, hasta manana, Hidalgo.


Nachtrag

Der Bulli ist in der Werkstatt, der Meister hat ob meines Auftragszettels Dollarzeichen in den Augen. Seis drum.

Habe gerade mal Google Maps bemüht und meine Euro-Tournee 2012 nachgezeichnet. Dolomiten, Schweizer und Französische Alpen, Südfrankreich und Nordspanien. 

8000 km. Schee wars.



War noch was? Oh! Ich glaub für Indien braucht man n Visum…. ;)

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